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Sudan: Es darf gewählt werden

 

Seit einigen Stunden sind im Sudan die Wahllokale geöffnet. Es dürfte eine ziemlich verwirrende  Abstimmung werden. Drei Tage soll der Urnengang in Afrikas größtem Flächenstaat dauern. Die meisten der 16 Millionen registrierten WählerInnen wissen schlicht nicht, welcher Kandidat noch im Rennen ist und welcher nicht.

Vor rund zwei Wochen hatte die „Sudanesische Volksbefreiungsbewegung“ (SPLM) Land, Leute und sämtliche Oppositionsparteien mit der Nachricht verblüfft, ihren nationalen Präsidentschaftskandidaten Yasir Arman zurückzuziehen. Die SPLM, stärkste Kraft nach der National Congress Party des amtierenden Präsidenten Omar al-Bashir, begründete diesen Schritt vor allem damit, dass aufgrund der anhaltenden Repression in Darfur keine freien und fairen Wahlen möglich seien. Worauf sämtliche anderen Parteien (mit Ausnahme der NCP natürlich) sich ihrerseits in eine chaotische Boykott-Debatte stürzten.

Das folgende Debatten-Karussell ist nun pünktlich zum Wahltag stehen geblieben: Die SPLM zieht sich „nur“ aus dem Präsidentschaftsrennen zurück, nimmt aber an Parlaments-und Gouverneurswahlen weiterhin teil. Und an den regionalen Präsidentschaftswahlen, die für den autonomen Südsudan ausgerichtet werden, sowieso.
Die moderat-islamische Umma-Partei ist ganz ausgestiegen. Die Kommunisten ebenso. Die Islamisten der Popular Congress Party (PCP) unter Hassan al-Turabi, Sudans Vater der Scharia, machen weiter mit.

Sparen wir uns die weitere Aufzählung. Das Problem ist: die Stimmzettel waren, als das Chaos ausbrach, bereits gedruckt. Die WählerInnen dürfen sich nun in der Wahlkabine fragen, wo sie bei diesem Chaos ihre Kreuzchen machen sollen.

Die Sorge der SPLM um die Lage in Darfur, um die Repression durch al-Bashirs Militär-und Parteiapparat, ist durchaus begründet. Bloß spielt sich hier die falsche Partei zur Hüterin der Demokratie auf. Die SPLM stellt im Südsudan die quasi absolute Hausmacht, drangsaliert dort die Opposition, bedroht kritische Journalisten. Von politischem Pluralismus und freier Meinungsbildung hält sie genau so viel wie der Machthaber im Norden, Omar al-Bashir.

Vieles spricht dafür, dass hinter den Manövern der SPLM nicht die Sorge um Darfur, sondern der Deal mit Omar al-Bashir steht: al-Bashir, vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag  mit Haftbefehl gesucht, soll seine zweite Amtszeit kriegen. Im Gegenzug leistet Khartum keinen Widerstand gegen die Sezession. Die wird der Süden voraussichtlich Anfang 2011 in einem Referendum beschließen. Das Referendum ist ebenso wie die nun stattfindenden Wahlen Teil jenes Friedends-abkommens, das Khartum und der Süden 2005 nach jahrzehntelangem verheerendem Bürgerkrieg unterzeichnet haben.

Der da nicht so recht mitspielte, war Yasir Arman, Spitzenkandidat der SPLM, der plötzlich Spaß am Wahlkampf und an der Aussicht bekam, al-Bashir zu einem zweiten Wahlgang zu zwingen. Also zogen die SPLM-Granden rund um den südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir die Notbremse und zerlegten damit auch das mühsam geschmiedete Parteienbündnis gegen die NCP und al-Bashir.

Am 18. April sollen die Ergebnisse verkündet werden. Was ist zu erwarten?

Zunächst zwei angeschlagene Kriegsfürsten in (Wahl)Siegerpose
Omar al-Bashir wird gewinnen (nicht nur dank Manipulation, sondern auch dank seiner Popularität im Norden) und seine Faust triumphierend Richtung Den Haag schütteln. Vielleicht ein letztes Mal, denn auch in der NCP halten ihn inzwischen einige für eine Belastung.

Salva Kiir wird sich in Juba, der Hauptstadt des Südsudan, als alter und neuer Präsident des zukünftigen unabhängigen Staates feiern lassen – und auf wachsenden Unmut an der Partei-Basis einstellen müssen.

Was werden wir noch sehen?
Womöglich interessante Ergebnisse bei den Gouverneurswahlen, die als Denkzettel an die NCP in Khartum zu verstehen sind.
Zahlreiche Klagen und Beschwerden von Kirchen und NGOs über Manipulationen – und mittendrin ein eher hilfloses Häufchen von EU-Wahlbeobachtern.
Eine anhaltende humanitäre Katastrophe in Darfur. In den nächsten Monaten vielleicht aber auch einen sachten Sinneswandel in Khartum. Dort müsste man langsam begriffen haben, dass sich die völlig verarmte Peripherie des Landes nicht mit Ausbeutung, Luftangriffen und marodierenden Reitermilizen beherrschen lässt.

Womöglich werden wir also Zeuge einer ziemlich unsauberen Wahl, die einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher im Amt bestätigt, ihm womöglich gleichzeitig einiges Wasser abgräbt und (hoffentlich) die friedliche Sezession eines völlig verarmten und zerstörten Teil des Landes ermöglicht.
Für die dortigen Verhältnisse wäre das durchaus ein positives Szenario.