Panzer rollen lassen, während eine Delegation des UN-Sicherheitsrats zu Besuch ist – so viel Dreistigkeit muss man erst einmal besitzen. Omar al Bashir hat sie offensichtlich. Für heute, Montag, hatte sich die UN-Delegation zu einem Besuch in der Grenzregion Abyei angesagt, dem brisantesten Streitpunkt zwischen Norden und Süden, deren endgültige Teilung in zwei Staaten ja unmittelbar bevorsteht. Seit Samstag aber stehen nach mehrtägigen Scharmützeln Khartums Panzer in Abyei, mehrere zehntausend Menschen sind auf der Flucht, die UN-Blauhelme vor Ort haben sich in ihrem Stützpunkt verschanzt, jüngsten Berichten zufolge haben Bewaffnete am Montag weiter Teile der Stadt Abyei ausgeplündert und in Brand gesteckt. Nach zwei Bürgerkriegen mit wahrscheinlich über zwei Millionen Toten, nach einem mühsam ausgehandelten Friedensabkommen 2005 und einer sich scheinbar friedlich anbahnenden Sezession ist das Gespenst des Krieges zwischen Norden und Süden wieder da.
Das „Jerusalem des Sudan“ – so nennt man Abyei. Der Landfleck hat zwar weder imposante Tempel, Kirchen und sonstige Kulturschätze zu bieten, seine Sehenswürdigkeiten beschränken sich auf impsoante Rinderherden und Kalaschnikows. In Abyei verlaufen die Fronten zwischen den Bevölkerungsgruppen der Ngok Dinka und der Misseryia, und Verhandlungen über den Status der Region sind seit Jahren ähnlich vertrackt wie Verhandlungen über Jerusalem.
Was nun? In gut sechs Wochen will der Süden bekanntlich offiziell seine Unabhängigkeit und sich selbst als „Republik Südsudan“ ausrufen. Politische VIPs aus den USA, Europa und Afrika haben sich zu den Feierlichkeit angesagt. George Clooney, der den Kampf gegen (Nord)Sudans Präsidenten Omar al-Bashir und für den neuen Staat im Süden zur Chefsache Hollywoods gemacht hat, möchte vermutlich ebenfalls mitfeiern. Stattdessen – so titeln die Medien – drohe nun ein „Krieg ums Öl in Abyei“.
„Krieg um Öl“ klingt immer gut, trifft in diesem Fall aber nicht zu. Abyei war einmal reich an Öl. 2004 – während der Verhandlungen um das Friedensabkommen, das dem Süden zwar noch keine Unabhängigkeit aber weit reichende Autonomie garantierte – wurde hier ein Viertel der jährlichen Rohölproduktion des Sudans aus der Erde gepumpt. Kein Wunder also, dass sich Khartum und Juba nicht einigen wollten, zu wessen Gebiet Abyei in Zukunft gehören soll. Abyei bekam einen Sonderstatus. In einem eigenen Referendum sollten die Bewohner entscheiden, zu welcher Seite sie in Zukunft gehören wollten. Im Fall Abyei ist das bis heute nicht geschehen, weil sich Khartoum und Juba nicht darüber einigen können, ob außer den ansässigen (und Juba-loyalen) Dinka auch die Misseria mitabstimmen dürfen. Letztere sind Khartum-loyale nomadisierende Viehhirten, die in Abyei um ihre Weide-und Wasserrechte fürchten.
Abyeis Ölfluss ist jedoch nur noch ein Flüsschen. Erstens sind Sudans Quellen längst nicht so ergiebig wie saudische oder irakische. Zweitens wurde der Landteil, auf dem sich die zwei größten Ölfelder befinden, 2009 in einer Entscheidung des Ständigen Schiedshofs, einer internationalen Schlichtungsinstanz in Den Haag, dem Norden zugesprochen. Grundsätzlich sind Khartum und Juba also für Vermittlung offen. Bloß oftmals leider erst nach Blutvergießen. Bevor beide Seiten den Schiedshof anriefen, legten sie in tagelangen Kämpfen Abyei schon einmal in Schutt und Asche.
Die jüngste Eskalation allein al-Bashir in die Schuhe zu schieben, wäre zu einfach – auch wenn Khartums Besetzung Abyeis einen eklatanten Verstoß gegen bestehende Abkommen darstellt. Beide Seiten haben provoziert. In Khartum wie in Juba gibt es vernagelte Hardliner, denen die Pflege alter Feindbilder aus Bürgerkriegszeiten immer gelegen kommt und die mit einem kleinen Grenzkrieg gern eigene massive Probleme kaschieren wollen. In Bashirs regierender Nationaler Kongresspartei (NCP) geraten Moderate und Hardliner immer heftiger aneinander, wobei letztere ihr Heil in der harten Hand der Zentralisierung von Macht und Ressourcen suchen: keine Zugeständnisse an die Peripherie. Auch deshalb lässt Khartum Darfur derzeit wieder aus der Luft bombardieren, auch deshalb will es bei Grenzfragen wie in Abyei kompromisslos erscheinen. Die Moderaten wiederum haben begriffen, dass diese Politik des Knüppels gegen die Peripherie dem Regime nicht mehr Macht, sondern mehr Zerfall bescheren wird.
Die Machthaber in der zukünftigen „Republik Südsudan“ haben ihrerseits seit dem Referendum für die Unabhängigkeit im Januar wenig Fortschritte in Sachen Staatwerdung zu vermelden. In den vergangenen Monaten ist der Süden von dem heim gesucht worden, was ich das „Kongo-Syndrom“ nenne. Ranghohe Offiziere, Kriegsherren und Regionalfürsten, die sich bei der Verteilung der Pfründe in Friedenszeiten nicht ausreichend berücksichtigt sehen, starten eine Meuterei, verüben ein Massaker, beschießen die südsudanesische Armee (SPLA) – und warten dann darauf, dass ihnen Juba ein Angebot macht. Die Zahl der Toten solcher Attacken geht seit Januar in die Hunderte. Die SPLA wiederum, dominiert von der mächtigsten Ethnie der Dinka, wird im Vielvölkerstaat Südsudan von den Bewohnern oft nicht als Schutzmacht, sondern als Bedrohung wahrgenommen.
Hinter den Rebellengruppen (derzeit sind es angeblich sieben) steckt allerdings nicht purer Eigennutz, sondern die berechtigte Angst, dass der neue Staat die Geißel des alten Sudans übernimmt: Alle Macht und Geld dem Zentrum, ein paar Krümmel für die Peripherie.
Dementsprechend wütend reagierte die Opposition im Südsudan auf den Entwurf einer nationalen Verfassung, die unmittelbar nach der Ausrufung der Unabhängigkeit in Kraft treten soll. Sie bereitet mitnichten den Weg für baldige Neuwahlen, sondern zementiert zunächst einmal die Macht der dominierenden „Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung“ (SPLM) und ihres Präsidenten Salva Kiir Mayardit.
Der muss, genau wie sein Counterpart Omar al Bashir, seine Position auch durch das Verteilen von Posten und Geldern sichern. Und genau darin liegt, so paradox es klingt, die Wahrscheinlichkeit, dass der Konflikt in Abyei nicht weiter eskaliert. Beide Seiten können sich, schon um der eigenen Machtsicherung willen, eine dritte Kriegsrunde eigentlich nicht leisten. Denn in Abyei mag zwar nicht mehr viel Öl gefördert werden. Aber durch Abyei läuft die Pipeline, die das Rohöl aus südsudanesischen Quellen zu den Raffinerien im Norden transportiert – und dem Norden so einen Anteil am südsudanesischen Ölgeschäft sichert. Im Fall Abyei dürfte der Faktor Öl eher Konflikt mindernd als verschärfend wirken. Aber das ist eine Vermutung. Keine Vorhersage.