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Sudan: eine Korrektur und ein virtueller Ausflug in die Nuba-Berge

 

Kurzer Nachtrag zum vorangegangenen (und inzwischen korrigierten) Eintrag zum Einmarsch nordsudanesischer Truppen in der Grenzregion Abyei: Eine aufmerksame und versierte Leserin hat darauf hingewiesen, dass im Unterschied zu Abyei die beiden anderen potenziell abspenstigen Regionen – Gebiete in den nördlichen Bundesstaaten Süd-Kordofan und Blauer Nil – kein Referendum über eine mögliche Unabhängigkeit oder Zugehörigkeit zum neuen Südsudan abhalten durften. Stattdessen hat man ihnen popular consultations zugestanden, also Befragungen, um ihre Meinung zur Umsetzung des Friedensabkommens von 2005 kundzutun.

In beiden Regionen zieht sich der Graben des Bürgerkriegs durch die Bevölkerung. Der eine Teil ist loyal gegenüber Khartum, der andere gegenüber dem Süden. Bewaffnete Einheiten gibt es auf beiden Seiten. Die SPLA, die südsudanesische Armee unterstützt nach wie vor mehrere zehntausend Kämpfer, die ihre Uniformen tragen, und die laut Friedensabkommen eigentlich demobilisiert werden müssten. Aktuell droht vor allem die Lage in den Nuba-Bergen zu eskalieren.

Die liegen mitten im Bundesstaat Südkordofan. An dessen Südgrenze befindet sich der aktuelle Kriegsschauplatz Abyei (und damit auch die Grenze zur demnächst unabhängigen Republik Südsudan). Im Westen stößt Südkordofan an die Krisenregion Darfur. Dieser kleine geografische Exkurs mag verwirrend sein, aber er macht deutlich, dass man sich eine unruhigere Nachbarschaft derzeit kaum vorstellen kann.

Die Bevölkerung der Nuba hatte in den 70er Jahren die zweifelhafte Ehre, von Leni Riefenstahl, einst Hitlers liebster Künstlerin, in mehreren Fotobänden zum Volk der edlen, muskulösen Wilden auserkoren zu werden. Das entbehrt nicht einer verdammt bitteren Ironie, denn Anfang der 90er startete Khartum während des zweiten Bürgerkriegs eine Kampagne der Vernichtung gegen die Nuba. Die hatten sich damals auf die Seite der südsudanesischen Rebellen geschlagen, worauf das Regime in Khartum einen speziellen Dschihad gegen die Nuba ausrief und selbst  jene muslimischen Glaubens zum Abschuss frei gab. Alex de Waal, einer der besten Sudan-Experten, spricht in diesem Zusammenhang vom „Vorsatz des Völkermords“. Entsprechend gering ist die Bereitschaft der Nuba, weiterhin unter der Kuratel Khartums zu stehen – zumal Sudans Präsident Omar al Bashir im Mai 2009 einen gewissen Ahmed Harun zum Gouverneur des Bundesstaates ernannt hat.

Manchen Lesern dürfte der Name vertraut sein: Harun wird wie sein Präsident wegen des Verdachts der Kriegsverbrechen und des Völkermords in Darfur vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mit Haftbefehl gesucht. Die jüngsten Gouverneurswahlen Anfang Mai hat er angeblich mit einem Vorsprung von 6.000 Stimmen gewonnen, was die Lage in Süd-Kordofan nicht eben entspannt hat.

Die Nuba sind übrigens kein „Volk“, sondern eine Ansammlung verschiedener ethnischer Gruppen mit verschiedenen Sprachen und verschiedenen Religionen. Was sie eint, ist eine traumatische Geschichte sowie die Opposition gegen Khartum und dessen Versuche, nun, nach der Abspaltung des Südens, den Rest des Landes umso massiver unter seine absolute Kontrolle zu zwingen. Dagegen werden sich die Nuba-Kämpfer in den Uniformen der SPLA mit aller Macht wehren. Denn sie befinden sich in einer ausweglosen Lage: sie haben keine Rückzugsoption. Die Nuba-Berge sind ihre Heimat, im Süden sind sie trotz der alten Kriegsallianz Fremde. Die Nuba sitzen buchstäblich zwischen allen Stühlen.

Und Abyei? Sudans Präsident Omar al-Bashir setzt offenbar auf Eskalation und hat angekündigt, dass seine Truppen sich nach dem Einmarsch am Samstag nicht zurück ziehen würden. Abyei gehöre dem Norden. Die internationale Staatengemeinschaft ist für’s erste ratlos und verdattert, was man niemandem zum Vorwurf machen kann. Die USA hatten al-Bashir für seine Kooperation (vulgo: Stillhalten) bei der Sezession des Südens angeboten, dem Sudan Schulden in Milliardenhöhe zu erlassen sowie das Land von der Liste der „staatlichen Unterstützer des Terrorismus“ zu streichen. Darauf pfeift al-Bashir offenbar.
Für’s erste jedenfalls.