Noch gut zwei Wochen bis zur großen Unabhängigkeitsfeier im Südsudan, der zukünftigen „Republik Südsudan“. Der Flughafen in der Hauptstadt Juba wird für den Anflug Dutzender Staatschefs ausgebaut, Bauarbeiter klatschen Mörtel auf den Rohbau der Ehrentribune, Putzkommandos säubern die Straßen und verweisen auf die jüngste Errungenschaft: Abfallkörbe, ökologisch korrekt nach Papier, Plastik und Glas getrennt. Nur wirken diese Szenen surreal, wenn man bedenkt, dass einige hundert Kilometer weiter nördlich der Krieg wieder ausgebrochen ist.
Was viele Beobachter seit langem befürchtet hatten, ist eingetreten: Während sich der Südsudan auf dem Sprung zur Nation mit beschränkter Lebensfähigkeit befindet, zerfällt der mühsam ausgehandelte Frieden zwischen Khartum und Juba an den Rändern des ehemaligen Kriegsgebietes. Also in jenen Gebieten an der Nord-Süd-Grenze, deren territoriale Zugehörigkeit und politische Zukunft entweder ungeklärt oder in der Bevölkerung umstritten ist: In der Grenzregion Abyei, und in den Einzelstaaten Blauer Nil und Südkordofan.
Für erstere war im Friedensabkommen 2005 zunächst eine Sonderverwaltung und dann ein eigenes Referendum über die Zugehörigkeit zum Norden oder Süden vorgesehen, das bis heute nicht stattgefunden hat. Letzteren war innerhalb des Nordsudan zumindest größere Autonomie in Aussicht gestellt worden, was sich ebenfalls als Illusion erwiesen hat.
In Abyei rollte Ende Mai Khartums Armee samt verbündeten Milizen ein. Ein nicht unwichtiges Detail: Dem Einmarsch war ein Hinterhalt der südsudanesischen Armee gegen abziehende nördliche Truppen voraus gegangen. Eine völlig irrsinnige Provokation, die Sudans Präsident Omar al-Bashir den Vorwand für eine verheerende Machtdemonstration lieferte. Die Folgen: Dutzende Tote, 100.000 Vertriebene, eine in Teilen verwüstete Stadt und bis auf die Knochen blamierte sambische UN-Blauhelme, die sich in ihrem Stützpunkt verbarrikadierten, statt die Zivilbevölkerung zu schützen. Die gute Nachricht: Khartum und Juba haben inzwischen vereinbart, das Gebiet zu demilitarisieren. Nun sollen etwas robustere Peacekeeper aus Äthiopien einrücken. Man darf gespannt sein, wann den Worten Taten folgen.
Die viel schlimmere Katastrophe entfaltet sich jenseits der zukünftigen Grenze zwischen Norden und Süden, in den Nuba-Bergen. Die Nuba hatten im Bürgerkrieg auf Seiten des Südens gekämpft, aber ihr Land ist Teil des Nordens geblieben. Ihre Kämpfer stehen weiter unter Waffen und tragen nach wie vor die Uniform der SPLA, der südsudanesischen Armee. Sämtliche Fristen zur Demobilisierung verstrichen. Und wieder hatte Khartum einen Vorwand, zuzuschlagen. Was das Bashir-Regime als legitimes Vorgehen gegen feindselige bewaffnete Kräfte bezeichnet, beschreiben Augenzeugen als Krieg gegen die Zivilbevölkerung der Nuba durch massive Luftangriffe und „ethnische Säuberungen“. Prominente Sudan-Aktivisten wie die Schauspielerin Mia Farrow warnen vor einem „neuen Darfur“. Der Ökomenische Rat Sudans spricht von „Menschen, die wie Tiere gejagt“ würden. Kirchenführer verlangen eine Flugverbotszone wie im Fall Libyens. US-Präsident Obama hat einen sofortigen Stopp der Kampfhandlungen gefordert, Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle, derzeit in Khartum und Juba unterwegs, zeigt sich „tief besorgt“.
Und die UN? Zeigt sich auch besorgt und muss unter anderem um ihre Blauhelme fürchten. Denn denen fallen in Südkordofan die Bomben aus sudanesischen Flugzeugen förmlich vor die Füße. Khartum hat außerdem angedroht, UN-Helikopter abzuschießen. Viele Nuba wiederum werfen den ägyptischen Peacekeepern vor, mit dem Bashir-Regime zu sympathisieren. In wenigen Tagen spielt das ohnehin keine Rolle mehr.
Am 9. Juli wird der Süden offiziell unabhängig, am selben Tag läuft auch das Mandat für UN-Mission im Sudan (UNMIS) aus. Im Süden (wo sie herzlich wenig Erfolge vorzuweisen hat) wird sie mit neuem Auftrag und vermutlich noch aufgeblähterem Apparat bleiben. Khartum aber hat bereits klargemacht, dass es keine neue Mission und schon gar keine Peacekeeper mehr dulden wird. Weil auch die wenigen Hilfsorganisationen ihre ausländischen Mitarbeiter aus Südkordofan abziehen mussten (darunter auch Cap Anamur, das dort seit Jahren medizinische Hilfe geleistet hat), wird es in zwei Wochen dort keine ausländischen Zeugen mehr geben für Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung.
Bleibt die Frage: Was treibt Omar al-Bashir dazu, jetzt einen Flächenbrand nach dem anderen auszulösen, obwohl er nach dem südsudanesischen Referendum eine friedliche Sezession versprochen hatte? In Darfur fliegt die sudanesische Luftwaffe wieder verstärkt Bombenangriffe, in Abyei können die Menschen zum wiederholten Mal die Ruinen ihrer Häuser wegräumen, in Südkordofan droht ein anhaltender Krieg, denn die Nuba-Kombattanten verstehen viel von Guerilla-Strategie.
„Ein verwundeter Wasserbüffel“, so hat ihn ein südsudanesischer Regierungsvertreter genannt. Bashir ist innenpolitisch angeschlagen, der Verlust des Südens wirkt härter nach, als viele angenommen haben. Es sind offenbar vor allem Armeekreise, die um ihre Pfründe und ein System fürchten, in dem alle Macht und alle Ressourcen dem Zentrum gehören und so gut wie nichts den Menschen in der Peripherie des Landes. In Khartum machen wiederholt Putschgerüchte die Runde, in den Nachbarländern Libyen und Ägypten haben sich die Machtverhältnisse dramatisch geändert, sicher scheint für die herrschende Elite gar nichts mehr. Das könnte Khartums verheerende Reaktion auf die südsudanesische Provokation in Abyei erklären (noch ein Hieb gegen die UN-Mission: Sie hat es sträflich versäumt, den Süden dafür öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen).
Bashir und seine Hardliner schlagen nun gnadenlos gegen jedes weitere Aufbegehren am Rand ihres geschrumpften Territoriums zurück. Und so, fürchten Beobachter, werden die Nuba-Berge zum neuen Süden in einem Nord-Süd-Krieg.
Hätte das verhindert werden können? Vielleicht. Sudan-Experten und NGOs haben schon länger die Alarmglocken schrillen lassen. Aber kein internationaler Akteur – und die Staatengemeinschaft hat mittlerweile enorm viel finanzielle und politische Ressourcen in dieses arabisch-afrikanische Krisenland investiert – widmete den drei „Randthemen“ Abyei, Südkordofan und Bleur Nil viel Aufmerksamkeit, die Medien (also auch die Autorin dieses Blogs) ebenso wenig.
Je düsterer die Perspektive, desto absurder erscheinen die wenigen Hoffnungsschimmer: Die chinesische Regierung hat Omar al-Bashir, wegen schwerster Verbrechen in Darfur vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht, nächste Woche nach Peking eingeladen. Streng betrachtet ist das ein Skandal und Affront gegen den Gerichtshof. Pragmatisch betrachtet ist es vielleicht die einzige Chance, auf einen „verwundeten Wasserbüffel“ einzuwirken. Washington hat inzwischen null Einfluss in Khartum, von der EU brauchen wir gar nicht zu reden. Einzig China kann vermutlich derzeit in den Khartumer Betonschädeln etwas bewegen. China hat Milliarden in den Sudan investiert. Es braucht Sudans Öl – und an den innersudanesischen Fronten möglichst Ruhe. Das wird die Regierung in Peking ihrem Gast wohl klarmachen.
So ganz sicher fühlt sich Bashir übrigens auch in Peking nicht mehr. Er hat sich vorab Zusicherungen geben lassen, dass er als Gast beim großen Freund nicht verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert wird.