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Das zähe Leben der Kalaschnikows

 

Der Anblick lässig über der Schulter hängender Sturmgewehre gehört zu jedem Besuch im Südsudan. Sie baumeln am Rücken junger Bauern, die in unsicherem Gelände zu ihren abgelegenen Feldern radeln. Sie gehören zur Ausrüstung von Dorfmilizen, die ihre Gemeinden gegen marodierende Rebellentrupps verteidigen. Der freundliche Herr auf dem Bild ist Angehöriger einer solchen Bürgerwehr, der „Arrow Boys“, seine Kalaschnikow wurde laut Seriennummer 1954 hergestellt (Man mag sich gar nicht ausmalen, wo dieses Stück schon überall eingesetzt wurde).

Außerdem gehört die AK-47 natürlich zur Standardausrüstung südsudanesischer Viehhirten. Zwischen denen kommt es immer wieder  zu bewaffneten Kämpfen mit meist verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung – zuletzt Anfang Januar bei einem Überfall von bewaffneten Angehörigen der Nuer auf die benachbarte Gruppe der Murle. Die Angreifer waren mit Sturmgewehren ausgerüstet. Die Murle sind es auch und verübten postwendend Vergeltungsüberfälle.

Entwaffnung der Zivilbevölkerung! So beginnen alle guten Vorsätze von Regierung, UN und Hilfsorganisationen: Gewehre einsammeln, registrieren, vernichten oder wegschließen. Klingt simpel – bis man dem „Bureau for Community Security and Small Arms Control“(BCSSAC) in Juba einen Besuch abstattet. Das BCSSAC untersteht dem Innenministerium, es soll „Brücken bauen zwischen gesellschaftlichen Kräften und staatlichen Stellen, die mit der friedlichen und freiwilligen Entwaffnung von Zivilisten beauftragt sind“, und federführend Strategien zur Kontrolle von Kleinwaffen formulieren.

In Anbetracht der mindestens 700.000 solcher Exemplare, die Schätzungen zufolge unter Südsudans rund acht Millionen Einwohnern im Umlauf sind, stellt man sich ein riesiges Büro mit blinkenden Computern und einem üppigen Fuhrpark für Einsätze im Hinterland vor. Aber die ächzende Klimaanlage versorgt gerade mal ein paar Arbeitszimmer, Laptops sind ebenso Mangelware wie Fahrzeuge, und der amtierende Leiter des BCSSAC, ein ehemaliger Parteifunktionär namens Doktor Riak, schildert einem in seiner Mittagspause eher müde die ideale Welt einer abrüstenden Gesellschaft: Bestens ausgebildete Experten, Polizisten und Soldaten sammeln freiwillig abgegebene Waffen ein. Mitreisende Richter unterzeichnen im Falle widerspenstiger Bürger gerichtliche Verfügungen zur gewaltsamen Entwaffnung. Und wer  weiterhin unbedingt eine Pistole oder ein Gewehr besitzen will, beantragt bei der nächsten Polizeistation einen Waffenschein. Sein Kurzreferat beschließt Riak mit einem Schluck eiskalten Wassers und einem resigniertem Seufzer. „Leider ist alles viel, viel komplizierter.“

Stimmt. Fangen wir deshalb mit dem Rasen mähen an – genauer gesagt: mit den einfacheren Problemen: Was macht ein Staat mit den Waffen, die er bereits eingesammelt hat? Antwort: Auflisten, verwahren, verschließen, gegebenenfalls vernichten. Was braucht er dazu? Sichere Depots, Maschinen und Software zum Registrieren und Markieren (falls die Waffen in den Bestand der regulären Sicherheitskräfte aufgenommen werden), gut ausgebildetes Personal, klare Richtlinien und Gesetze.

Wie sieht nun die Realität im Jahre eins der Republik Südsudan aus? Waffendepots bestehen aus alten Frachtcontainern, Schuppen oder Hütten mit Vorhängeschloss. Nach westlichen Standards ein Alptraum (Container oder Hütten voller Munition sind bei extremer Trockenheit und 40 Grad Hitze im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich). Nach südsudanesischen Standards ein Fortschritt: Immerhin gibt es jetzt Depots. „Und wenn man das umliegende Gras mäht, reduziert man die Feuergefahr“, sagt Marius Kahl, Mitarbeiter des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) und derzeit dank Finanzierung des Auswärtigen Amtes technischer Berater des BCSSAC in Juba. Kahl hat sich angewöhnt, in kleinen Schritten zu denken und die am nächsten liegenden Gefahren zuerst anzugehen. (Was nicht heißt, dass er sich darauf beschränkt: Seit mehreren Jahren berät das BICC die südsudanesische Regierung bei der militärischen wie zivilen Abrüstung des Landes, hilft beim Entwurf von Strategien und öffentlichen Kampagnen, bei der Koordinierung zwischen (wackeligem) Staat, UN und NGOs und bei der Aus-und Fortbildung von Fachpersonal.)

Maschinen zum Markieren eingesammelter Waffen sind im Einsatz, allerdings fehlt die nötige Software, so dass es mit der Registrierung hapert.
Ein neues Waffengesetz ist in Arbeit – und die erste Gruppe zukünftiger Waffenmeister wird gerade durch Angehörige der UN-Mission in einem Crash-Kurs ausgebildet. Wie säubere und verwahre ich eine Kalaschnikow? Bei welcher Temperatur sollte eine Kiste Munition gelagert werden? Wie mache ich eine Inventur? Was entgegne ich einem höheren Polizeioffizier, der um drei Uhr morgens in alkoholisiertem Zustand die Herausgabe von Sturmgewehren fordert? Antwort: „No, Sir! Sorry, Sir!“
All das hört sich selbstverständlich an, ist aber unendlich mühselig in einem Land, in dem viele Polizeireviere aus zwei Plastikstühlen unter einem Baum bestehen, die meisten Polizisten nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs eine allenfalls lückenhafte Schulbildung haben – und Widerspruch gegen einen Vorgesetzten häufig mit Prügeln geahndet wird.

Nun zu den schwierigeren Problemen: Wie überzeugt man Zivilisten (vor allem Männer) inmitten eines auf Klans und Ethnien gestützten bitteren Konkurrenzkampfes um Ressourcen und sozialen Status davon, ihre Waffen aufzugeben, wenn es keinen Staat gibt, der Sicherheit herstellen kann?
Im Fall des katastrophalen Konflikt zwischen Nuer und Murle im Einzelstaat Jonglei hat die südsudanesische Armee (SPLA) nun eine große  Entwaffnungskampagne angekündigt und will dabei notfalls Zwang anwenden. Das hat die SPLA im Jahr 2006 schon einmal in Jonglei versucht. Die Aktion endete mit Hunderten von Toten auf Seiten der Zivilisten wie der Armee. UN-Vertreter aber auch unabhängige Experten warnen vor einem neuerlichen Blutvergießen, wenn das Militär zur Entwaffnung der Milizen aufmarschiert. Stattdessen fordern sie, zuerst Verhandlungen zwischen Vertretern der verfeindeten Gruppen zu ermöglichen. Erst, wenn beide Seiten wieder eine Gesprächsbasis gefunden hätten, solle man über Entwaffnung reden.

Der müde Doktor Riak wollte zum Fall Jonglei  lieber gar nichts sagen. Aber ihm fiel dazu eine Geschichte aus seiner Heimatregion ein: Riak stammt aus dem Einzelstaat Warrap im Norden des Landes. Dort habe man 2009 den  Viehhirten zwangsweise die Gewehre abgenommen. Die hätten postwendend einige ihrer Leute zum Shoppen in die übernächste Stadt geschickt. „Und nach ein paar Wochen kamen sie mit 700 AK-47 wieder zurück.“ Riak sah jetzt noch müder aus. Nach unserem Gespräch in einem Restaurant in Juba fuhr ich mit ihm zurück in sein Büro. Bei der Suche nach dem Sicherheitsgurt fischte ich unter dem Beifahrersitz aus Versehen eine geladene Pistole heraus. Ich hielt ihm die Waffe mit spitzen Fingern hin wie eine tote Maus. „Israelisches Modell“ murmelt er verlegen und steckte sich das Ding in die Hosentasche.