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Das (vorläufige) Ende von Charles Taylor

 

Erster Ex-Staatschef seit dem Zweiten Weltkrieg, der wegen Kriegsverbrechen verurteilt wird: Das war nicht der Titel, mit dem Charles Taylor je in die Geschichte einzugehen gedachte. Nun hat er ihn. An diesem Donnerstag haben die Richter des Sondertribunals für Sierra Leone (SCSL) den ehemaligen Präsidenten Liberias schuldig gesprochen wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen von Rebellen im Nachbarland Sierra Leone, die Taylor finanziert und ausgerüstet hatte. Am 30. Mai werden die Richter in diesem letzten Prozess des SCSL das Strafmaß verkünden. Taylor wird es ebenso ungerührt entgegennehmen wie die mehrstündige Urteilsverkündung des vorsitzenden Richter Richard Lussick.

In Sierra Leone und in Liberia wurde der Schuldspruch aus Den Haag live übertragen. Das Geschäfts- und Straßenleben kam zum Erliegen, die Menschen versammelten sich vor Radiogeräten und in Internetcafés. Je nach politischer Sympathie fielen ihre Reaktionen höchst unterschiedlich aus. In der sierra-leonischen Hauptstadt Freetown zeigten sich Überlebende des Bürgerkriegs erleichtert über das Urteil. In Liberia, wo Taylor nach wie vor eine große Gefolgschaft hat, brachen manche Menschen in Tränen aus. Andere Anhänger posteten noch während der Urteilsverkündung Einträge auf Facebook, in denen sie Taylor im unerschütterlichen Glauben an einen Freispruch einen triumphalen Empfang in der Heimat versprachen. Blauhelme patrouillierten auf den Straßen in Erwartung von Demonstrationen.

Taylor, erst Rebellenführer, dann Staatschef in Liberia, hatte in den neunziger Jahren im Nachbarland Sierra Leone eine Gruppe Aufständischer mit dem Namen „Revolutionary United Front“ (RUF) finanziert, mit Waffen und Munition versorgt. Damit heizte er einen Bürgerkrieg weiter an, in dessen Verlauf 50.000 Menschen starben, Abertausende vergewaltigt oder als Zwangsarbeiter in den Diamantenfeldern missbraucht wurden.

Der RUF eilte damals ein Ruf voraus, wie ihn heute Joseph Konys LRA hat. Ähnlich wie die LRA war sie berüchtigt für die Praxis, vermeintlich illoyale Zivilisten zu verstümmeln. „Kurzärmelig oder langärmelig?“ – so lautete die Frage der oft minderjährigen Kämpfer an ihre Opfer, bevor sie ihnen entweder die Hand oder den ganzen Arm abschlugen. Dank der totalen Verrohung der Rebellen geriet schnell in Vergessenheit, dass deren Aufstand ebenso rationale wie banale Gründe hatte. Die lagen vor allem in einer völlig korrupten Regierung und einer völligen Verarmung eines Landes.

Nicht dass ihr Bündnispartner Taylor eine Reputation als politischer Reformer oder Kämpfer gegen Armut gehabt hätte. Seiner Wahl zum Präsidenten Liberias im Jahr 1997 war ein verheerender Bürgerkrieg in seinem Heimatland vorausgegangen, in dessen Verlauf sämtliche Fraktionen, auch Taylors Kämpfer, Gräueltaten begingen. Seine Präsidentschaft war von Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet, seine „Anti-Terrorist Unit“ (ATU) unter dem Kommando seines Sohnes Chuckie Taylor war für Folter und Exekutionen berüchtigt. Taylor Junior wurde übrigens nach seiner Flucht in die USA 2008 von einem amerikanischen Gericht zu 97 Jahren Haft wegen Folter und anderer Verbrechen in Liberia verurteilt.

Die Ambitionen des Vaters reichten zweifellos über Liberia hinaus. Taylor sah sich als regionaler Strippenzieher, als Gaddafi von Westafrika. Zu dem libyschen Revolutionsführer hatte er exzellente Beziehungen, denn Libyen hatte in den achtziger Jahren Taylors Rebellentruppe ausgebildet.

Es war für das Sondertribunal eine enorme Herausforderung, sich über dieses grenzenlose und ständig fluktuierende Geflecht von Rebellentruppen, Regierungsmilizen, ausländischen Finanziers und Hintermännern einen Überblick zu verschaffen. Dass Gaddafi ebenso wenig in den Fokus der Ermittlungen geriet wie internationale Diamanten-und Rohstoffhändler, wurde häufiger kritisiert. Vermutlich wäre es für das Tribunal auch nicht zu leisten gewesen.

Es wurde 2002 mit UN-Unterstützung gegründet, just als sich das Motto „Kein Frieden ohne Gerechtigkeit“ international durchzusetzen begann. Das SCSL ist das erste „hybride Gericht“ in der Geschichte der internationalen Strafjustiz, setzt sich also aus sierra-leonischen und ausländischen Juristen zusammen und urteilt auf der Grundlage einer Kombination von inländischem und internationalem Recht. Sein Mandat beschränkte sich auf die Strafverfolgung der Hauptverantwortlichen für „schwere Verstöße gegen humanitäres Recht in Sierra Leone“ zwischen 1996 und dem Kriegsende 2002. Das Budget beruhte ausschließlich auf freiwilligen Spenden von UN-Mitgliedsländern und internationalen Institutionen. Bis zuletzt musste das SCSL alle paar Monate mit der Bettelbüchse in westlichen Hauptstädten herumziehen. Größere internationale Aufmerksamkeit wurde dem Gericht nur zuteil, als im Taylor-Prozess Supermodel Naomi Campbell Auskunft über Rohdiamanten geben musste, die sie vor Jahren von Taylor erhalten hatte.

Seine Bilanz kann sich (bei aller Skepsis) nach zehn Jahren trotzdem sehen lassen. Das SCSL hinterlässt (außer einem futuristisch anmutendem Gerichtsbau im bitterarmen Freetown) eine juristische Dokumentation des Bürgerkriegs und seiner Gräueltaten, eine ganze Kohorte von nunmehr international erfahrenen einheimischen Juristen sowie acht Urteile gegen Führer sämtlicher Konfliktparteien.

Der Prozess gegen Taylor, dem einzigen Ausländer auf der Anklagebank, war der schwierigste. In den internationalen Medien hatte der Liberianer schnell die Rolle des großen Brandstifters westafrikanischer Bürgerkriege übernommen. Ihm juristisch direkte Schuld und Verantwortung nachzuweisen, ist eine ganz andere Sache.

Dass Taylor den RUF-Rebellen direkte Befehle erteilt oder mit ihnen ein joint criminal enterprise, eine „gemeinsame kriminelle Vereinigung“, gebildet hatte, sahen die Richter denn auch nicht als erwiesen an. Der Schuldspruch beschränkt sich auf aiding and abetting, auf Beihilfe und Unterstützung. Für die Ankläger ist das sicher eine Enttäuschung.

Für Taylor auch, der sich nach wie vor als Politiker und „Friedensstifter“ in der Region sieht – und das aus vollster Überzeugung. Inzwischen weiß man, dass er zumindest bis in die frühen neunziger Jahre guten Grund zu der Annahme hatte, im Sinne (oder mit der Zustimmung) des Westens zu handeln. Wie der Boston Globe im Januar diesen Jahres aufdeckte, arbeitete Taylor in seiner Zeit als Rebellenführer in Liberia – womöglich auch noch in seinen ersten Präsidentschaftsjahren – für die CIA und die Defense Intelligence Agency (DIA), den Geheimdienst des Pentagons. Vermutlich war er eine Art IM, der vor allem gegen Gaddafi eingesetzt wurde.

Womöglich erklärt dies, warum die Regierung von George W. Bush Jahre später nur sehr zögerlich auf die Auslieferung Taylors an das Sondertribunal drängte. Dessen Ankläger hatten 2003 einen Haftbefehl gegen den Liberianer ausgestellt. Der ging, inzwischen selbst unter Druck von einheimischen Rebellen, im selben Jahr ins Exil nach Nigeria, einem engen amerikanischen Verbündeten, wo er drei Jahre sehr opulent und sehr offen Hof hielt und weitere politische Intrigen spann. 2006, nach einiger Empörung seitens mehrerer US-Kongressabgeordneter, wurde Taylor schließlich an das Tribunal überstellt. Das verlegte aus Angst vor politischen Unruhen in der Region den Prozess sofort nach Den Haag.

Seine Haftstrafe wird Charles Taylor in einem britischen Gefängnis absitzen. Die niederländische Regierung bietet Den Haag zwar gern für internationale Strafprozesse an, will die Verurteilten dann aber nicht auch noch in ihren Vollzugsanstalten haben.

Über das Strafmaß lässt sich vorerst nur spekulieren. Man kann jedenfalls davon ausgehen, dass am 30. Mai die Menschen in Liberia und Sierra Leone wieder im Zustand erhöhter Anspannung vor Radios und Bildschirmen sitzen werden. Und dass seine Anhänger hoffen, ihn in nur wenigen Jahren wieder in Monrovia zu begrüßen.