Beni, Nord-Kivu
Joe ist Anfang zwanzig, hat einen Bizeps vom Umfang einer Kokosnuss und Brustmuskeln, die man als üppig bezeichnen darf. Joe ist der König der Bodybuilder von Beni, einer Stadt in der Provinz Nord-Kivu. Zugegeben – die Konkurrenz ist nicht groß. Bodybuilding hat noch nicht viele Fans im Kongo. Joe betreibt „Kinetic Gym“, ein Fitness-Studio im Hinterzimmer einer Kneipe, die gleichzeitig eine Boutique ist.
Joe hat den selbstbewussten Gang eines Mannes, der weiß, dass sich bestimmte Probleme beim Anblick seiner Muskelpakete von selbst erledigen. „Außerdem“, sagt er, „kann ich Judo.“ In Kriegszeiten hat ihm das nicht viel geholfen. Da war er auf der Flucht wie Millionen anderer Kongolesen auch.
Beni besteht aus mehreren Staubpisten und Ladenzeilen, an denen der Krieg und Verfall ihre Spuren hinterlassen haben. In ansehnlichem Zustand befinden sich nur die Nachtclubs. Beni besitzt außerdem einen Landeplatz für Helikopter, auf dem sich nepalesische Blauhelme langweilen, und einem Stützpunkt der kongolesischen Armee, vor dem tauchen alle paar Wochen einige zerlumpte Mai-Mai-Rebellen auf, die vom Leben in spartanischen Buschcamps die Nase voll haben und nun im Rahmen des Friedensprozesses der kongolesischen Armee beitreten wollen.
Joe hat, was solche Prozesse angeht, Übersicht und Zutrauen verloren. Und er wundert sich, dass ausländische Journalisten – in diesem Fall ich, eine deutsche Reporterin und Tim, ein amerikanischer Fotograf, immer noch hinter Geschichten über Rebellen und den flüchtigen Frieden her sind.
Der jüngste Anlauf zur Beendigung des Dauerkriegs im Ost-Kongo begann vor einigen Monaten – und zwar mit einer Militäroperation der besonderen Art. Die traditionell verfeindeten Regierungen des Kongo und Ruandas beschlossen, gemeinsam gegen die FDLR zu marschieren, jene aus Ruanda stammende Hutu-Miliz, aus deren Reihen einige der Anführer des Völkermords 1994 in Ruanda stammen. Die FDLR kontrolliert seit nunmehr fünfzehn Jahren rohstoffreiche Gebiete in den beiden Kivu-Provinzen – lange Zeit mit stillschweigender oder offener Zustimmung aus Kinshasa.
Ihre Präsenz lieferte der kongolesischen Tutsi-Miliz CNDP von Laurent Nkunda den Vorwand, ihrerseits Territorium in Nord-Kivu zu besetzen. Ende vergangenen Jahres marschierte Nkunda ohne nennenswerte Gegenwehr der kongolesischen Armee bis kurz vor die Provinzhauptstadt Goma, was eine weitere Flüchtlingskatastrophe, diverse Massaker und ein neuerliches Debakel für die UN-Friedenstruppen zur Folge hatte.
Dann kam – für fast alle internationalen Experten völlig überraschend – der Deal zwischen dem riesigen, völlig desolaten Kongo und dem kleinen, militärisch bestens organisierten Ruanda zustande: Die Regierung in Kigali nahm ihren kongolesischen Tutsi-Verbündeten Nkunda fest – er befindet sich bis heute unter Arrest – und ließ sich von Kinshasa im Gegenzug zur Militäroperation nach Nord-Kivu einladen. Was in Beni – und nicht nur dort – mit gemischten Gefühlen quittiert wurde. Die Mehrheit der Kongolesen hasst Nkunda, gleichzeitig erinnern sie die ruandischen Truppen als brutale Besatzer aus Zeiten der beiden Kongo-Kriege.
Inzwischen sind die ruandischen Truppen wieder abgezogen. Das Fazit: Sie haben die FDLR-Rebellen tiefer in den Busch gedrängt, einige Kommandanten der zweiten Garnitur gefangen genommen, ein paar hundert Milizionäre dazu gebracht, nach Ruanda zurückzukehren. In Goma herrscht wieder relative Ruhe, viele Flüchtlinge sind zurückgekehrt. Doch die Mehrheit der FDLR-Trupps ist intakt geblieben, sie rächen sich jetzt mit Überfällen auf Dörfer und versuchen nach Angaben der UN, verlorene Stützpunkte wieder einzunehmen.
Joe nimmt solche Nachrichten mit fatalistischer Gelassenheit zur Kenntnis. Er nutzt ruhige Zeiten, ohne genau zu wissen, wie lange sie dauern und wohin sie ihn tragen. Und jetzt sind ruhige Zeiten – zumindest in Beni.
Joe hat das Fitness-Studio ausgebaut. Es besteht jetzt aus zwei sehr schmalen Laufbändern, die nur mit der Schrittbreite eines Mannequins zu benutzen sind. Zur Ausstattung gehören außerdem ein halbes Dutzend Springseile, eine Gewichtbank, die aus den aktiven Zeiten Arnold Schwarzeneggers stammen dürfte, und eine imposante Lautsprecheranlage für „Fitness-Musik“. Joe mag Rapper. An den Wänden hängen Fotos von Tupac Shakur und Eminem. Außerdem Poster von Beyoncé und Britney Spears, die zwar nicht rappen können, dafür aber ein beeindruckendes Dekolleté zeigen.
Joe hat einen Assistenten, Charlie, der ihm bis zu den Brustwarzen reicht, ansonsten aber genauso gebaut ist wie sein Chef. Wenn Charlie nicht gerade einarmige Liegestütze macht, scheucht er schwer atmende Mitarbeiter der UN mit einem selbst entworfenen Aerobics-Programm.
Joe sagt, bevor ich das nächste Mal nach Beni komme, solle ich anrufen. Dann würde er ein Bodybuilding-Turnier organisieren mit Teilnehmern aus Goma, Beni, Butembo. Die Crème de la Crème der Muskelmänner von Nord-Kivu. Das wäre doch mal was anderes für die internationale Presse. „Immer nur diese Geschichten über Krieg, Kindersoldaten und Vergewaltigung. Davon müsst Ihr doch irgendwann mal genug haben.“ Absolut, sage ich, und lasse mir seine Telefonnummer geben. Wenn ich das nächste Mal in Beni bin, will ich nichts als Bodybuilder sehen.