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Skulpturen aus Kriegsschrott

 

Zuerst eine Anmerkung in eigener Sache: Das Kongo-Blog geht weiter – auch wenn ich inzwischen wieder in Deutschland bin. „In einer Woche sind Sie eh wieder hier“, sagte mir ein UN-Mitarbeiter vor dem Abflug aus Kinshasa. „Hier brodelt’s und ich weiß nicht, ob wir das unter Kontrolle bekommen.“ Der Mann gehörte bislang zu den notorischen Optimisten, doch jetzt hatten ihm die giftige Gerüchteküche in Kinshasa, die Betrugsvorwürfe zahlreicher Präsidentschaftskandidaten und die militanten Drohgebärden aus verschiedenen politischen Lagern offensichtlich zugesetzt.

Nun, Kinshasas Strassen sind bislang weitgehend ruhig geblieben, ich kann mir mit dem nächsten Besuch vielleicht noch Zeit lassen, aber die Stimmung ist, gelinde gesagt, ernüchtert. Die Auszählung der Stimmzettel für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen kriecht im Schneckentempo voran. Dass bis nächsten Sonntag ein vorläufiges Endergebnis vorliegen soll, mag man glauben oder nicht. Der Amtsinhaber Joseph Kabila führt nach der Auszählung von nicht einmal der Hälfte der Wahlbezirke mit 51 Prozent, sein Erzfeind Jean-Pierre Bemba liegt bislang bei 19 Prozent – all das heißt noch wenig, weil die Ergebnisse aus Kinshasa noch nicht bekannt sind. Immer mehr Unregelmäßigkeiten und Fälschungsversuche werden gemeldet, immer mehr Präsidentschaftskandidaten schreien „Betrug“ – ob zu Recht oder Unrecht, wird man vielleicht nie genau feststellen können. Am schnellsten haben wieder mal die Strassenhändler in Kinshasa reagiert: Sie verkaufen „offizielle Endergebnisse“, selbst fabriziert und kopiert, wobei es sich hier weniger um politische Propaganda als um ökonomische Selbsthilfe handelt. „Sehen wir es mal positiv“, sagt Freddy, „es wird nicht geschossen.“
Freddy hatte ich noch kurz vor meinem Abflug in Kinshasa erwischt, seine Telefonnummer trug ich schon seit Monaten herum. Er sei Kinshasas eigenartigster Bildhauer, hatte ich gehört, und mache in seinem Atelier in Matonge Skulpturen aus Munitionsresten.
Der Mann heißt mit vollem Namen Freddy Bienvenu Tsimba, sein Atelier liegt im Stadtteil Matonge, was Monsieur Vicky, meinem Taxifahrer, gar nicht passte, weil Matonge in seinen Augen das „Zentrum der Diebe und Gangster“ ist. Monsieur Vicky ist nicht nur sehr gottesfürchtig, sondern meines Wissens der einzige Kongolese, der sich beim Autofahren anschnallt. Insofern ist sein Urteil nicht wirklich repräsentativ. Für Freddy ist Matonge das „Herz von Kinshasa“, das Zentrum der Künstler, der Live-Musik, der Kneipen und damit des Lebens schlechthin. Also genau der richtige Ort für sein Atelier, auch wenn diese Bezeichnung etwas übertrieben ist, denn Freddy schweißt, biegt, hämmert, schleift und lötet in einem anderthalb Meter breiten Gang zwischen zwei Hausmauern. Er arbeitet gern mit Bronze, in der Ecke steht seine Skulptur „Paradoxe Conjugal“: eine Frau, das Kind auf dem Rücken, stemmt mit beiden Armen den schlaffen Körper ihres Mannes in die Luft. „Eheliches Paradox“ – eine Hommage an den täglichen Überlebenskampf der kongolesischen Frauen, die Kinder und Männer von einem Tag in den nächsten ziehen. Die Figuren sind dünn und langgliedrig, die Köpfe seiner Skulpturen nehmen sich oft aus wie kubistische Verfremdungen kongolesischer Holzmasken. „Man merkt den Einfluss von Giacometti“, sagt Freddy, ein kleiner, dünner Mann mit zauseligem Vollbart und einem Diplom der Akademie der schönen Künste in Kinshasa, „und natürlich von Nginamau.“ Letzteren kenne ich zu meiner Schande nicht, obwohl er zu Kongos berühmtesten Künstlern zählt.

Der Bildhauer Freddy Tsimba mit seiner Skulptur „La Chute des Dictateurs“ – Foto: Andrea Böhm

Vor sechs Jahren war Freddy Bienvenu Tsimba die Idee gekommen, Kriegsschrott zu sammeln. Er war mit dem Schiff den Kongo flussaufwärte gefahren, um die Geschichte von Flüchtlingen aus Kisangani nachzuverfolgen, die der Krieg bis nach Kinshasa getrieben hatte. In Kisangani verlor er ihre Spur und fand stattdessen kiloweise den Müll des Krieges: Abertausende rostiger Hülsen von Geschossen, die er in Maniokkörben zurück nach Kinshasa schmuggelte und zuhause zu kniehohen Haufen aufgetürmt hat. In seiner „Galerie“, einer winzigen dunklen Kammer neben seinem „Atelier“, hängen fertige Werke, zum Beispiel „Silhouettes Effacées“, die „ausgelöschten Schattenbilder“, schwangere Frauenkörper, die auf den ersten Blick schön und wohlgeformt aussehen und mit jeder weiteren Sekunde immer mehr verstören. Freddy hat sie aus hunderten von Patronenhülsen zusammengeschweißt.
daneben baumelt an einer Kette „La Chute des Dictateurs“, die „Sturzfahrt der Diktatoren“, ein am Vorderreifen aufgehängtes Motorad, auf den Sitz ein bronzener Affenschädel geschweißt, zwischen Lenker und Fußrasten ein offensichtlich im Sturz befindlicher Körper aus Granathülsen, das eine Bein gen Himmel gestreckt und mit einem löchrigen Lederschuh geschmückt. George Grosz hätte seine Freude daran gehabt.
„Was sagen denn Ihre Nachbarn zu Ihrer Arbeit?“ Rechts hört man Kneipenlärm, links hämmern Schreiner.
„Die halten mich für bekloppt, weil ich das Motorad an die Decke hänge, anstatt es zu reparieren.“
Geld verdient er natürlich kaum. Für die kongolesische Oberschicht ist solche Kunst ein Affront, und die UN-Mitarbeiter suchen auf ihrer Souvenierjagd nach tradionellen Holzmasken, nicht nach moderner kongolesischer Kunst. Aber hin und wieder winkt ein Stipendium. Manchmal kann er ein Stück in einem der vornehmen Hotels von Kinshasa ausstellen, oder wird sogar ins Ausland eingeladen. In Dakar ist er gewesen, in Port-au-Prince, Ottawa, Brazzavile, Béziers, Brüssel, vor drei Jahren sogar im Libanon. „Beirut war schön“, sagt Freddy, „jetzt könnte ich da nur Nachschub an Rohmaterial holen.“ Das Reisen wird zunehmend schwieriger. Jedesmal muss er stundenlang mit Zöllnern diskutieren, die wie Minenhunde um seine Skulpturen schlichen, nicht glauben wollend, dass hier der Müll des Krieges und nicht dessen Sprengstoff verladen werden soll. Ganz zu schweigen von den Mühen, ein Visum für das europäische Ausland zu bekommen. „Die glauben immer, ich will heimlich bei ihnen einwandern.“ Die Vorstellung findet Freddy so abwegig, dass er kichern muss. In diesem Jahr will er in Frankreich ausstellen. Es wird schon klappen. Irgendwie.