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Eisige Ruhe

 

Es wird – bis auf weiteres – nicht mehr geschossen in Kinshasa. Sagt Monsieur Vicky, mein Taxifahrer, am Telefon. Letzterer hat aufgehört zu beten, was er in unruhigen Zeiten in Kinshasa immer tut, „weil alles andere ja nicht hilft“. Drei Tage hat er sich wie fast alle unbewafffneten Bewohner Kinshasas zuhause eingeschlossen. “Madame“, sagt er, „sowas kann sich unsereins nicht leisten.“ Also fährt er wieder durch Gombe, dem Diplomaten-und Regierungsviertel, wo von Sonntag bis Montag die Kämpfe tobten. Inzwischen hat man die Leichen von den Strassen geholt, die Anwohner bessern zerschossene Scheiben aus, inspizieren die Einschusslöcher und in böser Vorahnung das Aufgebot an Feuerkraft, das jetzt überall herumsteht. Der am Dienstag vereinbarte Waffenstillstand zwischen den Herren Kabila und Bemba hält zwar vorerst an, doch in Kinshasas Strassen patrouillieren nicht nur EUFOR, UN-Blauhelme und kongolesische Polizei, sondern auch, in voller Montur, die Kampfparteien: Kabilas Präsidentengarde (zu erkennen an roten Mützen) und Bembas Truppe (zu erkennen an roten Halstüchern). Nach Deeskalation und „Normalisierung“ sieht das nicht aus.

Wer den ersten Schuss abgegeben hat, wird sich womöglich nie rekonstruieren lassen. Fest steht nur soviel: Die Sympathiebekundungen westlicher Diplomaten für Joseph Kabila haben sich als böse Fehleinschätzung erwiesen. Erstens hat man seine Unbeliebtheit im Westen des Landes unterschätzt. Im kriegszerrütteten Osten mag er als der Mann gelten, der den Frieden gebracht hat. In Kinshasa gilt er als Gallionsfigur der „Katanga Boys“, einer Machtclique aus der rohstoffreichsten Provinz, die Millionen in die eigene Taschen gewirtschaftet hat, während die Hauptstadt weiter vor sich hinrottet.

Aber so wurde Kabila in den Augen der Kinois zum „Mann des Auslands“ – und damit auch zur Zielscheibe seiner Propaganda, wonach Kabila von UN und EU samt ihrer Soldaten ins Amt gehoben werden soll. Mit dieser Kampagne hat er im ersten Durchgang 20 Prozent erhalten und, wichtiger noch, Kabila um die absolute Mehrheit gebracht.

Der wiederum wollte anfang der Woche in Kinshasa offenbar ein Exempel statuieren und Bembas Truppen entwaffnen. Das eskalierte am vorigen Montag zu jener Schlacht, in deren Verlauf Bembas Residenz unter Artilleriebeschuss geriet – just in dem Moment, als sich dort 14 Botschafter und der Chef der UN-Mission aufhielten, um die Kämpfe zu stoppen. Kofi Annan musste in New York zum Telefon greifen und Kabila auffordern, seine Präsidentengarde zurückzupfeifen.

Die Folge: ausgerechnet Bemba, dem der Ruch des Kriegsverbrechers anhängt, wird nun von Blauhelmen geschützt; Kabila wiederum dürfte seine Siegeschancen im zweiten Wahlgang drastisch reduziert haben. Schon seit Monaten kursiert im Kongo ein Kürzel für die Koalition, die sich vor dem zweiten Wahlgang gegen den amtierenden Präsidenten bilden soll: TSK – „Tous sauf Kabila, alle außer Kabila“. Das wird vermutlich der Schlachtruf der nächsten Wochen.

Bloß mag man sich die Stichwahl, so sie denn stattfindet, lieber gar nicht vorstellen. Beide Seiten haben ihre Gewaltbereitschaft hinreichend demonstriert und sind offenbar nicht gewillt, eine Niederlage zu akzeptieren. Kabila, kann auf 10.000 bis 15.000 Gardisten zurückgreifen, Bemba auf eine zur Privatarmee hochgerüstete „Leibwache“ – und auf tausende von jungen, männlichen Anhängern in den Armenvierteln von Kinshasa, die er per Flugzettel, Radio und Fernsehen in den letzten Wochen gehörig aufgeheizt hat.

Wie immer im Kongo läuft auch dieser Konflikt natürlich nicht ohne ausländische Hintermänner ab: Bemba, dessen Rebellengruppe einst von Uganda finanziert und hochgerüstet wurde, dürfte immer noch gute Drähte nach Kampala haben. Kabila wiederum ist der erklärte Favorit Angolas, das sich in der Gegend als Regionalmacht versteht, Militärausbilder in den Kongo geschickt hat und einigen Einfluss in der Präsidentengarde besitzt. Für die Petro-Kleptokraten in Luanda ist Joseph Kabila Garant für ungehinderten Zugang zu den reichen Rohstoffvorkommen des Kongo.

Wie es jetzt weitergehen wird, weiss niemand so recht. Die UN versucht bislang ohne Erfolg, Kabila und Bemba an den Verhandlungstisch zu zwingen. Ihre Kampftruppen zu entwaffnen, ist vermutlich ein aussichtloses, weil zu gefährliches Unterfangen. Vielleicht kann man ihnen zumindest einen Teilabzug ihrer Kämpfer aus der Hauptstadt abhandeln. MONUC wird Einheiten aus dem Osten nach Kinshasa verlegen, EUFOR wohl bis nächstes Jahr bleiben müssen – und zwar mit Verstärkung und robusterem Mandat. Und den beiden Präsidentschaftsanwärtern, die sich anschicken, die Zukunft ihres Landes in Grund und Boden zu schießen, könnte man wenigstens mit Sanktionen drohen, mit Sperrung ihrer Konten, Einreiseverbot in Europa und den USA.
„Das sind ganz miese Zeiten“, hat Freddy Tsimba in einer e-mail geschrieben. Freddy Tsimba, das ist der Bildhauer aus Kinshasa, der Skulpturen aus Munitionsresten zusammenschweißt. Um Patronenhülsen zu sammeln, muss er jetzt nicht mehr nach Kisangani ins ehemalige Kriegsgebiet fahren. Die findet er seit dieser Woche auch in den Strassen von Kinshasa. „Ich habe einen ganzen Sack gesammelt. Es hört einfach nie auf.“