Nun ist es amtlich: Am Montag hat der Oberste Gerichtshof in Kinshasa den Wahlsieg von Joseph Kabila bestätigt und die Einsprüche seines Gegners Jean-Pierre Bemba „aus Beweismangel“ abgewiesen. Was zu erwarten war, da die Mehrheit der Richter dem alten und neuen Präsidenten nahestehen. Was aber wohl auch der Realität gerecht wird, denn nach Einschätzung der internationalen Wahlbeobachter waren diverse „Unregelmäßigkeiten“ (vulgo: Stimmenkauf und Manipulation von Wählerlisten durch beide Kandidaten) nicht ausschlaggebend für das Ergebnis.
Bis auf weiteres schickt Bemba seine hochgerüstete Leibgarde in kleinen Grüppchen aus der Hauptstadt, weil ihm Kabila andernfalls die zwangsweise Entfernung durch die kongolesische Armee angedroht hat. Die Militärmission der Europäischen Union – zur Unterstützung der UN vor vier Monaten nach Kinshasa entsandt – packt trotz der prekären Lage ihre Sachen und zieht ab. In Kinshasa herrscht „angespannte Ruhe“, wie es so schön heisst.
Also widmen wir uns heute einer anderen Stadt: Bunia im Bezirk Ituri in der nordöstlichen Ecke des Landes, über 1000 Kilometer von Kinshasa entfernt. In Bunia gibt es seit zwei Wochen einen neuen Fernsehhit: Keine Soap-Opera aus Mali, auch nicht das allabendliche Fragespiel nach Krieg oder Frieden im Land, sondern ein Gerichtsdrama. Der Privatsender DigitalCongo liefert abendlich Bilder aus dem Saal des Internationalen Strafgerichtshof in den Niederlanden. Auf der Anklagebank in Den Haag sitzt Thomas Lubanga, ehemals führender Politiker und Warlord in Ituri Auf einer weinroten Wohzimmercouch in Bunia starrt, eingerahmt von gelben Häkeldeckchen, einer seiner treuesten Anhänger gebannt auf den Bildschirm. Hin und wieder fällt der Strom aus, dann schickt er ein Stoßgebet gen Himmel. Jacques Bin Kabarole, Professor für Geschichte an der Hochschule in Bunia, ist gläubiger Katholik und hält nicht viel von weltlicher Justiz. „Nur Gott ist gerecht“, sagt er – und Gott, davon ist der Professor überzeugt, wird seinen Helden Thomas Lubanga von allen Vorwürfen frei sprechen. Als da wären: ethnische Säuberungen, Massaker an der Zivilbevölkerung, Vergewaltigungen, Rekrutierung von Kindersoldaten.Unter Lubangas Kommando hatte eine eine Miliz der ethnischen Gruppe der Hema zwischen 1999 und 2003 in Ituri gegen Truppen anderer Ethnien gekämpft – mit allem, was in unseren Zeiten den Horror von Bürgerkriegen ausmacht. Jetzt ist Lubanga der erste und vorerst einzige Untersuchungshäftling jenes internationalen Gerichts, das vor vier Jahren gegründet worden war, um eben solche Verbrechen weltweit zu ahnden. Professor Bin Kabarole ist Mitglied des Exekutivkomitees von Lubangas Hema-Partei UPC. Er ist, zumindest behauptet er das voll Stolz, immer noch Lubangas Kabinettschef, auch wenn der kein Kabinett mehr hat. In Kriegszeiten träumte man Kreisen der UPC von einem „neuen, reinen Hema-Staat“ – gereinigt vor allem von der Volksgruppe der Lendu, die in Ituri immer schon die Unterschicht bildeten. Das streitet der Professor heute ab.
Bunia war wohl einmal eine idyllische Stadt inmitten der grünen Hügel Ituris, dessen Klima sowohl belgische Kolonialherren wie reiche Kongolesen schätzten. In den Beschreibungen mancher Bewohner erscheint das „alte Bunia“ wie ein kongolesisches Sarajevo, ein multhiethnische Handelszentrum mit babylonischem Sprachengewirr. Heute, nach vier Jahren Krieg und 50.000 Toten, erinnert es an eine ramponierte Wild-West-Stadt. Entlang der Hauptverkehrsader, der „Strasse der Befreiung“, haben sich Matratzenhändler, Kleiderverkäufer und diverse Hilfsorganisationen in den verkommenen Häusern eingerichtet. Das „Hotel Bunia“ ist wieder in Betrieb, ein „Cafe des Friedens“ hat eröffnet. Mama Jeanne, stadtbekannte Köchin, hat das im Krieg geplünderte Gasthaus „Zur Piroge“ wohlweislich nahe des militärisch befestigten Hauptquartier der UN-Mission wiederaufgebaut. Internet-Cafes haben Kundschaft – solange es Strom gibt, und Sand und Staub nicht die Tastatur blockieren. Auf den Märkten wird wieder gefeilscht, allerdings streng nach Ethnien getrennt. Die Hema im Norden, ihre ehemaligen Todfeinde, die Lendu, im Süden. Die Kindersoldaten sind mehr schlecht als recht demobilisiert, viele Milizionäre befördern jetzt als Taxifahrer auf billigen chinesischen Motorrädern die Zivilisten, die sie vor ein paar Jahren noch mit Kalaschnikow und Machete terrorisierten.
Der Kongo ist voll von Städten, in denen nun Überlebende des Kriegs mit seinen Mördern den Alltag teilen müssen, als wäre nicht gewesen. Aber etwas ist anders in Bunia. Bunia genießt die erhöhte Aufmerksamkeit der internationalen Staatengemeinschaft. Hier, und nicht in Kinshasa, begann im Juni 2003 das militärische Engagement der EU, als mehrere Hundert überwiegend französische Soldaten einrückten und, wenn schon nicht den Bezirk, so doch die Stadt befriedeten. Hier, in Ituri, ist heute das größte Kontingent von Blauhelmen stationiert. Die EU bleibt präsent. Sie finanziert unter anderem ein Strafgericht, das „Tribunal de Grande Instance“, dessen Staatsanwalt und Richter seither fast erdrückt werden von einer Klagewelle aus der Bevölkerung: gewöhnliche Einbrüche, Schadensersatzforderungen für im Krieg geplündertes Eigentum, Anzeigen wegen Betrugs, Diebstahl oder Hexerei.
Und dann ist da eben noch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Dessen Staatsanwaltschaft ahnte anfangs wohl nicht, worauf sie sich mit ihrem ersten Ermittlungsfall im Kongo eingelassen hat. In einem Land ohne Straßennetz, ohne Melderegister, Militärakten und funktionierende Polizei sind verlässliche Zeugenaussagen ungleich schwerer zu bekommen als zum Beispiel in Bosnien oder im Kosovo. Abgesehen davon, flammen in verschiedenen Ecken des Bezirks immer wieder Kämpfe auf; immer wieder gründen neue Warlords neue Milizen mit illustren Namen. Manche werden gefangen wie Lubanga, ein andrer wurde vom Strafgericht in Bunia sogar zu lebenslanger Haft verurteilt, wieder andere ergattern nach „Friedensgesprächen“ hohe Posten in der neuen kongolesischen Armee. Und immer noch verdienen die Hintermänner des Krieges, die gar nicht im Kongo, sondern im Nachbarland Uganda sitzen. Hochrangige Offiziere der ugandischen Armee haben in den letzten Jahren mit illegalem Waffen-und Rohstoffhandel in Ituri Millionen gescheffelt und denken überhaupt nicht daran, auf diese Einkommensquelle zu verzichten.
Solche schnöden materielle Ziele interessieren Jacques Bin Kabarole nicht. Jedenfalls läßt sein schmuddeliges Häuschen im Hema-Stadtteil Mudzipela nicht vermuten, dass er in den letzten Jahren zu viel Geld gekommen ist. Seine Welt ist die der Ideologie, er würde sagen: der Ideeen – und weil gerade der Strom und damit auch der Ferhseher ausgefallen sind, läßt sich Professor Bin Kabarole von seiner Frau eine Flasche Primus-Bier bringen und setzt zu einem Vortrag über sein Volk, die Hema an, gegen die sich alle Welt verschworen habe: die UN, die Menschenrechtsgruppen, die internationale Justiz. Er ist ein zierlicher, durchaus freundlicher Mann mit runder Brille, der sich an seinen Worten restlos begeistern kann. „Man hat uns Monate lang geschlagen, gedemütigt, versucht uns auszurotten. Dann kam Thomas Lubanga – und wir hatten endlich einen Führer, der uns wieder Würde gab. Und dann haben wir uns verteidigt…“ Je länger sein Monolog anhält, desto mehr fühlt man sich an das gekränkte Selbstmitleid serbischer Intellektueller erinnert, die sich noch zu Friedenszeiten zu den Opfern jenes Krieges erklärten, den ihre Politiker wenig später anzettelten. Dass sein großer Vorsitzender nun wegen Rekrutierung von Kindersoldaten angeklagt ist, kränkt den Professor besonders. „Wir waren die einzigen, die den Kindern im Krieg zu essen gegeben haben. Deshalb sind sie zu uns gekommen.“
„Aber es gibt Fotos von Lubanga umringt von Zwölfjährigen mit Maschinengewehren.“
„Unmöglich, Madame.“
„Was ist mit den Vergewaltigungen und mit den Massakern an Lendu-Zivilisten?“
„Nie hat Lubanga solche Befehle gegeben. Vielleicht hat sich mal ein Kommandant im Feld schuldig gemacht, aber so etwas passiert in jedem Krieg.“
Vorläufig gibt es keine weiteren Bilder aus Den Haag. Die Beweisanhörung ist abgeschlossen, die Richter werden in den nächsten Wochen entscheiden, ob die Beweise für die Eröffnung des Prozesses ausreichen, wovon auszugehen ist. Professor Bin Kabarole hat jetzt wieder Zeit, in seinen Seminare seine Version der jüngeren Geschichte Ituris vorzutragen und sich der Parteiarbeit zu widmen. Die UPC ist bei den Parlamentswahlen angetreten und nun mit mehreren Abgeordneten im Parlament in Kinshasa vertreten. „Wir werden das Land voranbringen“, sagt Jacques Bin Kabarole.
Im Frühjahr wird voraussichtlich in Den Haag der Prozess gegen Thomas Lubanga eröffnet, und ganz Bunia wird das Gerichtsdrama weiterverfolgen können. „Sie besuchen uns doch wieder“, sagt der Professor fröhlich. „Sie werden sehen: am Ende wird Gottes Wahrheit triumphieren.“
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