Bevor das Jahr vorbei ist, lassen wir das „kongolesische Wunder“ noch einmal Revue passieren: nach drei Jahrzehnten Diktatur, zwei Kriegen mit fast vier Millionen Toten haben die Kongolesen friedlich und geduldig einen Präsidenten, ein Nationalparlament und elf Provinzparlamente gewählt. Das gehört zu den globalen Höhepunkten des Jahres, auch wenn es wahrscheinlich in keinem Fernsehrückblick auftauchen wird.
Wie ging’s eigentlich weiter nach dem zweiten Wahlgang? Nun, Joseph Kabila liess sich am 6. Dezember vereidigen, verkündete in seiner Amtsansprache ein „wiedergeborenes Afrika“ und reiste kurz darauf zu einem regionalen Gipfeltreffen in die kenianische Hauptstadt Nairobi. Unter anderem Uganda, Angola, Sambia, Ruanda waren vertreten – kurzum, fast alle Regierungen , die jahrelang ihre Truppen zum Plündern in den Kongo geschickt hatten. Nun verhandelten sie über Kooperation, Sicherheit und Entwicklung der Region. Wie man sieht, müssen sich Zynismus und Fortschritt nicht ausschließen.
Joseph Kabila ist unterdessen wieder ganz mit innenpolitischen Problemen beschäftigt: Im Osten des Landes, in Nord-Kivu, sind UN-Truppen und kongolesische Armee in Kämpfe mit Rebellen des Kommandanten Laurent Nkunda verwickelt, einem der letzten Kriegsherren im Land, über den in einem der nächsten Blog-Einträge mehr zu sagen sein wird.
Und in Kinshasa ist pay back time. Alle Parteien und Gruppierungen, die Kabila vor dem zweiten Wahlgang in einem Bündnis um sich geschart hatte, wollen mit Posten und Ämtern belohnt werden, was die Regierungsbildung zu einer komplizierten Angelegenheit macht. Finanzen, Justiz, Wirtschaft, Bergbau – das sind Schlüsselressorts, deren personelle Besetzung Signale in die eine oder andere Richtung senden werden. Denn kongolesische und internationale NGOs beobachten nun gespannt, ob Kabila ernsthaft versucht, die grassierende Korruption und Veruntreuung staatlicher Gelder einzudämmen. Ein Beispiel: Von den 2,2 Milliarden Dollar, die die Weltbank seit 2001 in den Wiederaufbau des Landes gesteckt hat, sind schätzungsweise 500 Millionen Dollar veruntreut worden. Das sind die Dimensionen der Korruption à la Congolaise.
Dass der Kongo über einen enormen Reichtum an Bodenschätzen verfügt, ist eine Binsenweisheit. Die Frage ist, ob dieser Reichtum zum ersten Mal in der Geschichte des Landes der breiteren Bevölkerung zugute kommen wird. Unter der Erde liegen über 50 Prozent der weltweiten Kobalt- und 30 Prozent der weltweiten Diamantenvorkommen. Ausserdem Erze, Gold, Uran. Der Bergbausektor soll zum Motor des Wiederaufbaus werden. Doch die Weltbank schätzt, dass die kongolesische Übergangsregierung in den vergangenen drei Jahren 75 Prozent der Kupfer und Kobalt-Reserven an ausländische Konzerne verschleudert hat – zu Konditionen, die diversen Ministern und Beratern Millionen einbrachten, dem kongolesischen Staat aber nur Krümmel übrig lassen. In der Regel handelt es sich um Konzessionen mit einer Laufzeit von 35 Jahren.
Eine Untersuchungskommission unter Leitung des kongolesischen Abgeordneten Christophe Lutundula hatte schon 2005 gefordert, die meisten dieser Verträge zu annulieren. Das war mutig, blieb aber erfolglos. Ob die Integren unter den neu gewählten Parlamentariern gewieft und couragiert genug sind, um das Thema erneut auf die Tagesordnung zu setzen, bleibt abzuwarten.
Immerhin haben die Korruptionsgegner auf internationaler Ebene prominente Verstärkung bekommen: Bestseller-Autor John le Carré, dessen neuer Roman „The Mission Song“ im Kongo spielt, hat sich mit der „International Crisis Group“ (deren fundierte Konfliktanalysen zu verschiedenen Ländern unter www.icg.org zu finden sind) zusammengetan und die fortgesetzte Ausbeutung des Kongo angeprangert. „Getting Congo’s Wealth To Its People“ heisst das Editorial, in dem Le Carré und die ICG fordern, die Verträge der Übergangsregierung mit ausländischen Konzernen neu zu verhandeln.“ Das wird ein Kampf gegen Giganten. Denn erstens soll das meiste Geld auf die Auslandskonten der „Kabila Boys“geflossen sein, Männer aus dem engsten Kreis des alten und neuen Präsidenten. Zweitens scheuen die internationalen Geberländer das Thema. Schliesslich profitieren in der Regel Konzerne aus den industrialisierten Ländern von solchen Verträgen. Und drittens will die Weltbank nicht offen zugeben, dass sie an diesem Desaster nicht unschuldig ist. Schließlich hat sie immer auf die Privatisierung der riesigen, ruinösen Staatsbetriebe des Kongo gedrungen – und dann versäumt, Alarm zu schlagen, als korrupte Politiker das letzte Küchensilber ihres Landes verscherbelten.
Was hilft? Vielleicht naming and shaming. Wie das geht, demonstriert unter anderem die britische Organisation Global Witness, die mit investigativen Recherechen den Zusammenhang zwischen Wirtschaftsinteressen, Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen offenlegt. In ihrem Bericht „Digging in Corruption“ über die Ausbeutung von Rohstoffen und Menschen in der reichsten Provinz Katanga nennt sie ausländische Firmen, die solche Deals abgeschlossen haben: die US-amerikanischen Konzerne Phelps Dodge und OMG, die südafrikanische Firma Metorex oder der kanadische Konzern Tenke Mining.
Ebenfalls in Katanga hat gerade eine Koalition kongolesischer, britischer und australischer Menschenrechtler und Journalisten einen ersten Erfolg gelandet. In diesem Fall geht es nicht nur um Profitgier sondern auch um die mögliche Komplizenschaft bei einem Blutbad: Im Kampf gegen eine kleine Rebellengruppe im Südosten der Provinz massakrierte eine Einheit der kongolesischen Armee im Oktober 2004 etwa 100 unbewaffnete Zivilisten in Kilwa, einer Stadt unweit der Dikulushi-Bergwerke, wo Anvil Mining Congo, eine Niederlassung der australischen Anvil Mining Silber und Kupfer fördert. Nach den Recherchen kongolesischer Menschenrechtler und UN-Ermittler vor Ort versorgten Angestellte des Konzerns die Soldaten mit Geld, Verpflegung und halfen beim Verscharren der Leichen. Die Konzernleitung nahm zu den Vorwürfen erst Stellung, nachdem das australische Fernsehen über das Geschehen in Kilwa berichtet hatte. Sie gab zu, der Armee logistische Hilfe geleistet zu haben, erklärte aber, unter Zwang und ohne jedes Wissen über eine bevorstehende Militäroperation gehandelt zu haben. Vor dem Militärgericht in Katangas Hauptstadt Lubumbashi hat am 12. Dezember der Prozess gegen die verantwortlichen Armee-Offiziere begonnen. Die Anklage lautet auf Kriegsverbrechen gemäß der Definition der Genfer Konvention. Anvil Mining Congo und drei ehemalige Angestellte stehen ebenfalls wegen Beihilfe vor Gericht. Britische und kongolesische NGOs werden den Verlauf des Prozesses beobachten – und in Australien ermittelt inzwischen die Bundespolizei gegen Anvil Mining.
Auch so kann Globalisierung funktionieren.
In diesem Sinne ein gutes neues Jahr an alle Leserinnen und Leser des Kongo-Blogs.
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