Der Major hat uns einbestellt. Major Amuli Civiri ist der stellvertretende Kommandant der 122. Brigade der kongolesischen Armee in Kamituga und dem umliegenden Distrikt. Blauhelme der UN haben sich hier noch nie blicken lassen. Damit ist der Major der ranghöchste Militär in der Stadt.
Weil sich nun weder der Kandidat Kibala noch die deutsche Journalistin sofort nach ihrer Ankunft vorgestellt haben, ist er indigniert. Jetzt gibt es ein Problem: Kibala ist am Tag zuvor mit dem Motorrad „schnell mal“ in die 30 Kilometer entfernte Nachbarstadt Mwenga gefahren, um Plakate aufzuhängen und sich mit den traditionellen Oberhäuptern zu treffen. Seither ist er verschwunden, auch per Handy nicht zu erreichen. Also muss ich allein zum Höflichkeitsbesuch.
Major Civiri sitzt mit Drei-Tage-Bart und „New York-Yankee“-T-Shirt auf der Veranda seines Hauptquartiers, vor sich ein Tisch mit metallenem Aktenkoffer, zwei Handys und einem Röhrchen Vitamintabletten. Unterwürfig dreinblickende Händler aus Kamituga drängen sich wie Prüflinge auf einer Holzbank. Sie wollen mit dem Major ins Geschäft kommen. Der verscheucht sie nun mit einer Handbewegung und einem Redeschwall auf Kisuahili und studiert eingehend die deutsche Telefonnummer auf meiner Visitenkarte, „falls ich Sie mal anrufen muss“. Das hat mir gerade noch gefehlt.
Civiris 122. Brigade soll die Bevölkerung in Mwenga vor Hutu-Milizen schützen. Gemeint sind jene Resttruppen der Interahamwe, die 1994 den Völkermord an den Tutsi in Ruanda ausführten, dann in den Kongo flohen und damit das Land in einen Teufelskreis aus Plünderzügen und Kriegen stürzten. Weiter oben im Norden sind einige dieser Milizen durch Blauhelm-Truppen der UN aufgerieben worden, andere sind nach Amnestieangebote nach Ruanda zurückgekehrt. Wieder andere sind geblieben und haben sich nach zwölf Jahren in den Wäldern zu ausgefuchsten Buschkämpfern entwickelt, die sich immer wieder mit Kindersoldaten aus der Region verstärken. „Ich leite gezielte Operationen gegen den Feind. Das ist gefährlich, aber erfolgreich“, sagt der Major. Seine Handys klingeln ununterbrochen, was mir die Gelegenheit gibt, sein „Hauptquartier“ genauer zu betrachten. In seinem Garten haben seine nachgeordneten Offiziere für sich und ihre Familien Grashütten aufgebaut. Seine Gefreiten sind teils in Abbruchhäusern über die Stadt verteilt, teils auf den Strassen in die umliegenden Kleinstädte postiert, wo sie an Barrikaden Wegezoll verlangen. Ich spreche, als beide Handys für einen Moment ruhen, ganz sachte die altbekannten Probleme der kongolesischen Armee an, die seit dem Kriegsende 2003 aus Angehörigen aller Kampfparteien zusammengestoppelt wird: dass der Sold für die Soldaten oft schon in Kinshasa in den Taschen der Generäle verschwindet, dass es zunehmend „Probleme mit der Disziplin“ gebe, was eine sehr galante Umschreibung für Plünderungen und Vergewaltigungen ist. „Keine Sorge“, sagt Major Civiri, „das haben wir jetzt alles im Griff.“ Die Bürger von Kamituga, allen voran die Frauen, sehen das anders.
Bevor das Gespräch einen unerfreulichen Verlauf nehmen kann, dreht Major Civiri den Spieß um und fragt mich aus.
„Wird Kandidat Kibala auch in Kamituga bleiben, wenn er die Wahl verliert?“
„Das müssen Sie Herrn Kibala fragen.“
„Ich habe nämlich beschlossen, ihn zu unterstützen.“
„Das wird ihn sicher freuen“, sage ich. „Aber Soldaten dürfen doch gar nicht wählen?“
„Stimmt, wir sind politisch völlig neutral. Aber unsere Frauen dürfen wählen. Außerdem kommunizieren wir täglich mit der Bevölkerung und können durchaus mitteilen, welche Kandidaten wir uns wünschen.“
Aha. Ich bedanke mich für das Gespräch, und der Major wendet sich wieder seinen Geschäften zu.
Jean Claude Kibala taucht an diesem Abend lange nach Einbruch der Dunkelheit wieder auf – von oben bis unten mit Schlamm besprenkelt und kurz davor, im Stehen einzuschlafen. Als ich ihm den Dialog mit Major Civiri wiedergebe, sagt er nur: „Um Gottes Willen…“
Seine Mini-Delegation, bestehend aus drei Motorrädern und sechs Männern sieht aus, als hätten sie die Rallye Paris-Dakar absolviert. Sie mussten nach einem Regenguss in Mwenga übernachten und haben über sechs Stunden für die 30 Kilometer Rückfahrt gebraucht. In der Nacht war ein Haus keine hundert Meter neben ihrer Unterkunft von Hutu-Milizen geplündert worden. Keine Toten, keine Verletzten, keine Vergewaltigten, „ aber“, sagt Kibala, „alles total ausgeräumt.“ Er selbst habe noch nicht einmal etwas gehört. „Ich war so müde, ich habe einfach nur gepennt.“