Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Schuldig! Das Sondergericht für Sierra Leone hat die ersten Urteile gefällt

 

Julia Sebutinde heißt die Frau, die gestern Rechtsgeschichte geschrieben hat. „Schuldig“, verkündete die Richterin am Mittwoch im Saal des internationalen Sondergerichts für Sierra Leone den drei Angeklagten – schuldig der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Kriegsverbrechen und anderer schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in elf Fällen, darunter Einsatz von Kindersoldaten, Versklavung, Vergewaltigung und Mord. Fünf Jahre nach Ende des sierraleonischen Bürgerkriegs sind damit die ersten Urteile gegen Kriegsverbrecher ergangen. Und zum ersten Mal wurden ehemalige Kriegsherren dafür verurteilt, Kinder als Soldaten missbraucht zu haben. Man soll mit dem Adjektiv „historisch“ sparsam umgehen, aber dieses Urteil darf man durchaus als historisch bezeichnen. Das Strafmaß soll am 16. Juli verkündet werden. Die Angeklagten werden mit aller Wahrscheinlichkeit in die Berufung gehen.

Um selbige angemessen vorzustellen, muss man noch einmal die Buchstabensuppe der verschiedenen Kriegsfraktionen sortieren. Alex Tamba Brima, Santigie Borbor Kanu und Brima Bazzy Kamara zählten während des Kriegs zum Führungskader des „Armed Forces Revolutionary Council“, des „Revolutionsrates der Streitkräfte“ – kurz AFRC genannt. Dahinter steckten Angehörige der Armee um den Offizier Johnny Paul Koroma, die 1997 die gewählte Regierung von Sierra Leone gestürzt und sich dann mit den Rebellen der „Revolutionary United Front“ (RUF) verbündet hatten. (Zur Erinnerung: bei der RUF handelt es sich um jene Rebellentruppe, die vom ehemaligen Kriegsherrn und Präsidenten Liberias, Charles Taylor, mit Kämpfern, Waffen und Logistik unterstützt worden ist)

Auf dem medialen Gradmesser der Grausamkeiten rangierten die AFRC-Kämpfer etwas unterhalb der RUF-Rebellen – nicht unbedingt, weil sie weniger brutal waren, sondern weil der AFRC erst sechs Jahre nach Beginn des Krieges in Erscheinung trat. Doch die Anklageschrift ist in weiten Teilen identisch mit der gegen die Führer der RUF. Sie bezieht sich auf einen Tatzeitraum, in der beide Gruppen eine Allianz bildeten. Gegen die RUF-Führer wird in einem getrennten Prozess in Freetown verhandelt, der vermutlich erst Ende des Jahres abgeschlossen sein wird. In einem dritten Verfahren gegen die Anführer regierungsfreundlicher Milizen ist in den nächsten Wochen mit einem Urteil zu rechnen. Im Vergleich zu anderen internationalen Strafgerichten haben Julia Sebutinde und ihre Kollegen, aber vor allem auch die Ankläger ein flottes Tempo vorgelegt.

Der Besucherraum des Gerichtssaals war am Mittwoch bis auf den letzten Platz besetzt. Zwei Stunden lang lauschten die Zuschauer der Urteilsverkündung durch Richterin Sebutinde – darunter auch zahlreiche Überlebende jener Gewaltorgie, die die RUF zusammen mit dem AFRC 1999 in Freetown anrichtete. Damals wurden in einer „Strafaktion“ tausende von Menschen getötet oder verstümmelt, Frauen vergewaltigt, Kinder verbrannt. Gut möglich, dass auch Jussu Jarka und andere Mitglieder der Vereinigung der Zwangsamputierten im Saal waren, die zuletzt in diesem Blog zu Wort kamen. Wenn nicht, verfolgten sie in ihrer Siedlung den Radionachrichten, und man darf annehmen, dass ihnen bei der Meldung über den Schuldspruch wenigstens ein kurzes Gefühl der Genugtuung vergönnt war.

Was bleibt noch nachzutragen?

Johnny Paul Koroma, der Rädelsführer des AFRC, gilt bis heute als verschollen und ist wahrscheinlich tot. Seine Anhänger, von denen man noch einige auf Freetowns Straßen treffen kann, sind allerdings überzeugt, dass er irgendwann wieder auftauchen wird. Da es für sein Ableben keine Beweise gibt, wird die Anklage des Sondergerichts gegen ihn aufrecht erhalten.

Die ugandische Richterin Julia Sebutinde wird zusammen mit ihren Beisitzern für die die nächsten Monate nach Den Haag umziehen. Dort geht in wenigen Tagen der Prozess gegen Charles Taylor weiter. Ob der Angeklagte dieses Mal im Gerichtssaal erscheinen wird, weiß keiner.

Die marode Armee von Sierra Leone wird seit Kriegsende von britischen Militärs ausgebildet, wobei nicht nur der Umgang mit Maschinengewehr und Raketenwerfer, sondern auch die Genfer Konventionen auf dem Lehrplan stehen. Wie nachhaltig dieser Unterricht ist, bleibt abzuwarten. In Freetown tut die Militärführung jedenfalls etwas, um ihren ramponierten Ruf aufzubessern. „Die Armee hat kein Interesse mehr an Putschversuchen“, steht in großen Lettern auf Werbetafeln.