Eigentlich ist es nicht mehr als eine Vollzugsmeldung: Die Verhandlungen zwischen der serbischen Regierung und der Delegation des Kosovo über den zukünftigen Status des Kosovo sind gescheitert. Die Kosovaren bestehen auf der Unabhängigkeit, Serbien bietet wiederum dem Kosovo größtmögliche Autonomie, verweigert aber die Abspaltung. Dieses Ergebnis, das alle Beteiligten erwartet hatten, werden die Vermittler der sogenannten Troika, bestehend aus dem deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger, seinem amerikanischen Kollegen Frank Wisner und dem Russen Alexander Bozan-Chartchenko am 10. Dezember dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon überbringen.
Nun kann man sich zweierlei fragen: Wenn das Scheitern absehbar war, warum wurden dann in den vergangenen drei Monaten überhaupt Reisespesen und Arbeitszeit vergeudet? Und wie geht es jetzt weiter?
Die erste Frage ist noch halbwegs einfach zu beantworten: Seit Kriegsende 1999 gehört das Kosovo nur noch nominell zum Territorium Serbiens, steht jedoch auf Grundlage der UN-Resolution 1244 unter UN-Verwaltung. Auf Dauer ist das kein guter Zustand. Das finden vor allem die Albaner, die unabhängig sein wollen und bereits an einer Nationalhymne und einer eigenen Fahne basteln. Das findet aber auch die internationale Staatengemeinschaft, deren Auftritt als fürsorglicher Kolonialherr auf dem Balkan nicht unbedingt glücklich verlaufen ist. Also sollte das Kosovo mit neuer UN-Resolution in eine „überwachte Unabhängigkeit“ entlassen werden. Soll heißen: Die UN ziehen ab, eine EU-Mission „überwacht“ den weiteren Aufbau von Polizei-und Justizwesen, die KFOR-Truppen bleiben, um serbische Enklaven und Kulturgüter zu beschützen.
Dieser Fahrplan wurde zur Makulatur, als Russland seine globalen Muskeln und seine Liebe zu den „serbischen Brüdern“ wiederentdeckte und eine entsprechende Resolution im UN-Sicherheitsrat zu blockieren gelobte. (Nicht, dass es keine ernst zu nehmenden Argumente gegen eine Sezession des Kosovo gäbe. Nur darf man Moskau hier eher machtpolitische, denn prinzipielle Motive unterstellen.)
In Brüssel schreckten die Mitgliedsländer nach dem russischen „Njet“ hoch. Spanien, Rumänien, Griechenland und Zypern, allesamt selbst mit Minderheitskonflikten und Spaltungen belastet, meldeten nun Bedenken gegen einen neuen Mini-Staat im Balkan an. Die EU-Mission drohte schon im Aufbau zu scheitern. Da half nur eines: Zeit gewinnen. Wie? Indem man die Kontrahenten in eine neue Verhandlungsrunde schleppt und gleichzeitig hinter den europäischen Kulissen versucht, die Reihen zu schließen. Allerdings genau für den Fall, der jetzt eingetreten ist: das endgültige Scheitern der Gespräche – und damit die baldige Erklärung der Unabhängigkeit der Kosovaren. Gegen den Willen Serbiens und ohne völkerrechtliche Absicherung durch eine UN-Resolution.
Womit wir bei der zweiten, sehr viel schwierigeren Frage sind: Wie geht es weiter? Der designierte kosovarische Premierminister Hashim Thaçi hat noch für den Dezember eine einseitige Unabhängigkeitserklärung in Aussicht gestellt. Das klingt recht forsch, doch dürften Thaçi und das kosovarische Parlament nichts derartiges unternehmen, bevor nicht Washington und eine große Anzahl der EU-Mitgliedsstaaten ihre Zustimmung und Anerkennung des neuen Staates signalisiert haben. Das wird – bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber solchen Prognosen – voraussichtlich erst Anfang des nächsten Jahres der Fall sein.
Und dann? Dann werden die Kosovaren auf den Straßen feiern, während die 15.000 KFOR-Soldaten in erhöhte Alarmbereitschaft treten und die serbische Regierung ihrerseits zurückschlägt: Belgrad wird die „Grenze“ zum Kosovo schließen, den Waren- und Personenverkehr blockieren und Stromlieferungen einstellen, was den Alltag der Kosovaren zumindest kurzfristig noch beschwerlicher machen wird, als er ohnehin schon ist. Außerdem gilt als sicher, dass sich der von Serben dominierte Nord-Kosovo seinerseits vom neuen kosovarischen Staat abspaltet (eine politische Variante der biologischen Zellteilung) und seine Zugehörigkeit zu Serbien erklärt. Es wird spannend für die KFOR-Truppen, die im Nord-Kosovo stationiert sind – darunter demnächst womöglich auch 500 Bundeswehr-Soldaten. Deren Präsenz soll für Ruhe, Ordnung und Einheit sorgen, doch aus Belgrader Sicht wären sie dann eigentlich Interventionstruppen auf serbischem Territorium.
Blieben noch die Auswirkungen auf die Nachbarländer zu erwähnen: aus Mazedonien, wo seinerzeit dank rechtzeitiger internationaler Vermittlung ein Bürgerkrieg verhindert werden konnte, werden neue Spannungen zwischen den albanischen und slawischen Bevölkerungsgruppen gemeldet. In Bosnien verkünden die Führer der Serben, dass sie sich im Fall einer Unabhängigkeit des Kosovo ihrerseits berechtigt fühlen, sich abzuspalten und Serbien anzuschließen. Womöglich nur eine leere Drohung, aber jedenfalls trägt sie nicht zur Entspannung der Lage bei. Das Kapitel Balkan ist acht Jahre nach Kriegsende für Europa noch lange nicht abgeschlossen. Der Marathon hat gerade erst begonnen.