Erst boykottierte der Angeklagte sein Verfahren, dann entließ er seine Anwälte und beschuldigte die Richter, einen „Schauprozess“ durchzuführen. Charles Taylor, ehemals liberianischer Staatspräsident und derzeit prominentester Häftling der internationalen Strafjustiz, hatte alle Register gezogen, um den Prozess gegen ihn aufzuhalten. Seit Montag sitzt er nun endlich auf der Anklagebank, ausgestattet mit neuen Strafverteidigern und demonstrativ zur Schau getragenem Vertrauen in einen Freispruch. Politisch erscheint das undenkbar, juristisch ausgeschlossen ist es nicht.
Zur Erinnerung: Elf Punkte umfasst die Anklage gegen den 59-jährigen – darunter Massenmord, sexuelle Versklavung, Einsatz von Kindersoldaten, Plünderung. Taten, die im internationalen Völkerstrafrecht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen definiert werden. Allerdings geht es dabei nicht um Gräuel, die während des Bürgerkriegs in Taylors Heimat Liberia begangen worden sind, sondern im Nachbarland Sierra Leone. Dort kämpften zwischen 1991 und 2002 die von Taylor unterstützten Rebellen der „Revolutionären Einheitsfront“ (RUF) gegen die Regierungsarmee, wobei die Fronten im Verlauf dieses Krieges zunehmend verworrener wurden. Am härtesten umkämpft waren die Diamantengebiete des Landes, deren Ausbeutung der RUF jahrelang ungebremsten Waffennachschub garantierte – und Taylor, so die Anklage, Zugriff auf die Edelsteine.
Die Brutalität des Krieges mit Zehntausenden Toten machte weltweit Schlagzeilen – nicht zuletzt, weil RUF-Rebellen unzähligen Zivilisten in „Strafaktionen“ Arme und Beine abhackten. Hollywood ließ die Erinnerung an diesen Horror im vergangenen Jahr noch einmal mit dem Film „Blood Diamond“ aufleben. Zu diesem Zeitpunkt saßen führende Kriegsherren bereits auf der Anklagebank des internationalen Sondergerichts für Sierre Leone (SCSL), das mit Unterstützung der Vereinten Nationen in der Hauptstadt Freetown eingerichtet worden war. Taylor allerdings wurde nach seiner Festnahme im März 2006 nach Den Haag überstellt, wo das SCSL nun in den Räumen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen ihn verhandelt. Ein Prozess in Freetown schien dem Gericht zu gefährlich: zu groß das Risiko, dass Anhänger des immer noch einflußreichen Ex-Präsidenten in der Region Unruhe stiften könnten.
Seit dem 7. Januar ruft nun also die Anklage ihre Zeugen in Saal 2 des hermetisch gesicherten Den Haager Gerichtsgebäude auf: UN-Experten schildern den Zusammenhang zwischen Diamantenschmuggel und Krieg; Überlebende beschreiben horrende Massaker der RUF. Das Problem: diese Aussagen werden Taylor nicht gefährlich. Weder er noch seine Verteidiger leugnen, dass die RUF Diamanten gegen Waffen gehandelt und grausame Verbrechen begangen hat. Taylor bestreitet schlicht, die RUF unterstützt, angestiftet, ermutigt oder auch nur von ihren Gräueltaten gewusst zu haben. Überhaupt habe er nie einen Fuss nach Sierra Leone gesetzt. Ihm „über jeden Zweifel erhaben“ das Gegenteil zu beweisen, ist gar nicht so einfach.
Die Argumentation der Anklage beruht auf dem juristischen Konstrukt eines „joint criminal enterprise“, einer „kriminellen Vereinigung“. Demnach hatten Taylor und die Führer der RUF einen „gemeinsamen Plan“, um in Sierra Leone eine Rebellion anzustiften und Zugriff auf die Diamantenfelder zu bekommen. In Folge dieses Plans seien dann zahlreiche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt worden. Das Konstrukt des „joint criminal enterprise“ wurde auch von den Anklägern des UN-Jugoslawien-Tribunals häufig angewandt, ist unter Völkerrechtlern aber umstritten.
Um im Prozess gegen Taylor eine solche „kriminelle Vereinigung“ zu beweisen, wollen die Ankläger mehrere ehemalige Weggefährten des Liberianers in den Zeugenstand rufen. Sie sollen bezeugen, dass Taylor von der liberianischen Hauptstadt Monrovia aus in regelmäßigem Telefonkontakt mit RUF-Kommandanten gestanden, ihnen Anweisungen gegeben, sie mit Waffen, Munition und Kämpfern versorgt haben soll. Ob die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen den Kreuzverhören der Verteidiger standhalten wird, bleibt abzuwarten.
Ein viel größeres Problem – und hier geht es jetzt in die juristischen Feinheiten des Völkerstrafrechts – haben ausgerechnet die Richter des SCSL den Vertretern der Anklage beschert. Im Verfahren des Sondergerichts gegen drei sierra leonische Rebellenführer erklärte das Gericht im Juni 2007 die Angeklagten zwar der Kriegsverbrechen schuldig. Schließlich hatten sie nachweislich Massaker und Plünderungen angeordnet. Die Kammer sprach sie aber vom Vorwurf der „kriminellen Vereinigung zur Anstiftung einer Rebellion“ frei. Begründung: eine Rebellion anzustiften, sei nach internationalem Recht nun mal nicht strafbar und falle somit nicht unter das Mandat des Sondergerichts. Dieser Richterspruch habe potenziell „verheerende Folgen für die Anklage im Taylor-Prozess“, sagt William Schabas, einer der führenden Experten des Völkerstrafrechts. Bei den Anklageschriften des UN-Jugoslawien-Tribunals stelle sich die Lage anders dar, sagt Schabas. Dort hätten die Ankläger Slobodan Milosevic und anderen führenden Kriegsplanern ein „joint criminal enterprise“ zur Durchführung ethnischer Säuberungen vorgeworfen. Letztere sind als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert und liegen somit klar innerhalb des juristischen Mandats des Tribunals.
Behält Schabas Recht, so steht das Anklägerteam im Fall Taylor – geführt von dem Amerikaner Stephen Rapp – unter erhöhtem Druck. Denn ein Schuldspruch hängt nun umso mehr davon ab, dem liberianischen Kriegsherrn und selbst ernannten Prediger nachzuweisen, dass er im sierraleonischen Bürgerkrieg konkrete Gräueltaten angeordnet, angestiftet oder dazu ermutigt hat.
18 Monate, so schätzen Beobachter, wird der Prozess in Den Haag dauern, über 140 Zeugen sollen gehört werden. Videobänder von den Verhandlungstagen werden täglich auch in Monrovia und Freetown gezeigt, wo in Straßenkneipen ehemalige Kindersoldaten neben Kriegsopfern am Fernseher beobachten, wie die internationale Staatengemeinschaft im fernen Den Haag Gerechtigkeit walten lassen möchte. Keinem von ihnen ist entgangen, dass der Untersuchungshäftling Charles Taylor in seiner niederländischen Zelle derzeit einen Lebensstandard weit über dem westafrikanischen Durchschnitt geniesst. Aber die Vorstellung vergleichsweise luxuriöser Haftbedingungen für den Diktator finden die meisten immer noch erträglicher als den Gedanken, er könnte in anderthalb Jahren als freier Mann nach Liberia zurückkehren.
Dort hat übrigens gerade die „Wahrheits-und Versöhnungskommission“ damit begonnen, Täter und Opfer des liberianischen Bürgerkriegs anzuhören. Der dauerte von 1989 bis 2003, forderte über 200.000 Tote und verwüstete die gesamte Infrastruktur des Landes. Die Kommission hat kein Mandat zur Strafverfolgung, und Liberias Justizsystem ist noch Jahre davon entfernt, rechtsstaatliche Verfahren durchzuführen. Soll heißen: den Tätern droht keine Verurteilung. Einige Menschenrechtsaktivisten in Liberia fordern deswegen ein internationales Sondergericht wie in Sierra Leone. Und wie in Sierra Leone würde auch in Liberia einer der Hauptangeklagten Charles Taylor heißen.
Doch Liberias demokratisch gewählte Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf fürchtet aus gutem Grund all die ehemaligen Kriegsherren und Weggefährten Taylors, die im Fall drohender Prozesse wieder Heerscharen von demobilisierten, arbeitslosen Kämpfern auf die Barrikaden bringen könnten. „No Peace Without Justice“ heisst die Parole der internationalen Strafjustiz – „kein Friede ohne Gerechtigkeit“. In Liberia gilt bis auf weiteres: Für Gerechtigkeit ist der Frieden noch zu fragil.
P.S.: Wer den Prozess gegen Charles Taylor en detail verfolgen möchte: das „Open Society Institute“ von George Soros dokumentiert die Zeugenvernehmungen in einem täglich Blog. Weitere Informationen sind auch über die Website des Sondergerichts für Sierra Leone zu erhalten.