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Boxen oder Wählen – drei Runden Sparring in Kinshasa

Nicht jeder in Kinshasa hält die kommenden Wahlen für das wichtigste Ereignis des Jahres. Man kann sich um politische Macht prügeln, man kann aber auch im Ring nach den Regeln des Internationalen Amateur-Box-Verbandes kämpfen. Und dabei von den Olympischen Spielen in London 2012 träumen.

Das tun jeden Nachmittag gut zwei Dutzend BoxerInnen im Stadion Tata Raphael. (Das große I ist hier durchaus angemessen, weil etwas die Hälfte Frauen sind.)

Das Stadion Tata Raphael, Connoisseurs des Boxsports als historische Stätte des legendären Fights 1974 zwischen Muhammad Ali und George Foreman bekannt, ist über drei Jahrzehnte später Heimat eines Boxclubs mit dem schönen Namen „La tête haute de Muhammad Ali“. Zu deutsch: das erhobene Haupt von Muhammad Ali.

Wer diesen Blog verfolgt, kennt inzwischen Judex Tshibanda Wata, den Trainer und ehemaligen kongolesischen Meister im Weltergewicht, sowie meine persönliche Vorliebe für’s Boxen und für Muhammad Ali’s historischen Aufenthalt im Kongo (wunderbar dokumentiert in dem Film „When We Were Kings“). Kein Kinshasa-Besuch also ohne Gasttraining bei Judex.

In einer völlig verrotteten Halle unterhalb der ebenfalls ziemlich verrotteten Zuschauerränge, wo Ali sich in der Nacht des Kampfes 1974 aufgewärmt haben soll, trainieren seit Jahren KämpferInnen – Anfänger wie Fortgeschrittene, solche ohne Talent wie solche, die Medaillen abräumen. Die Besten haben außerdem Zugang zu den Fitnessclubs der teuren Hotels oder im sehr viel größeren und besser ausgestatteten Stade des Martyrs.

Denn die Trainingsbedingungen im Stadion Tata Raphael sind gewöhnungsbedürftig: Es gibt keinen Ring, keine Sandsäcke und kaum Licht und Sauerstoff, dafür aber viel Luftfeuchtigkeit und eine intensive Geruchsmischung aus Holzkohle, Urin und Müll. In den Gängen des Stadions leben Dutzende von Familien – und manchmal auch Boxer, die anderswo keine Behausung finden. Nachteile dieser Wohnlage: Kein Wasser, keine Toiletten, kein Tageslicht, viele Moskitos und knöcheltiefes Brackwasser in den Gängen nach heftigen Regenfällen. Die Vorteile: Gratis-Stehplätze am Spielfeldrand, wenn am Wochenende die Spiele der kongolesischen Fußball-Liga ausgetragen werden oder die Nationalmannschaft zum Training aufläuft.

Training im Club "La tete haute de Muhammad Ali"

Außerdem bieten die Eingeweide des Stadion ein gutes Versteck, wenn zu Wahlkampfzeiten auf den Straßen Demonstrationen aus dem Ruder geraten. Die ersten Krawalle hat es bereits gegeben. Dass die Stimmung geladen ist, merkt man an den hitzigen Debatten gleich neben dem Stadion, wo sich vor allem Anhänger der oppositionellen UDPS, der Partei des vermutlich stärksten Kabila-Gegners Etienne Tshisekedi, zum parlement de boue einfinden, dem „Parlament des Schlamms“ (heißt so, weil man mit dem Mundwerk Politik macht und mit den Füßen im Dreck steht). Man stelle sich das vor als eine Mischung aus englischer Hyde Park Corner, Poetry Slam und Stuttgart 21-Wutbürger-Vollversammlung.

Geht es nach Judex, können die Wahlen am 28. November gern ohne ihn stattfinden. Er will sein Frauenteam Ende November zu einem afrikanischen Turnier nach Algiers mitnehmen, auf dem nicht nur um Pokale, sondern (sagt Judex) auch um Plätze für die Olympischen Spiele in London gekämpft wird. Auf der Website des afrikanischen Amateur-Boxverbandes ist in diesem Zeitraum zwar nur ein Turnier in Tunis angekündigt. Aber das liegt ja gleich nebenan.

Coach Judex (rechts) mit seinem Team

Algiers oder Tunis – am Ende könnte das egal sein. Judex befürchtet vermutlich zu Recht, dass der kongolesische Verband seinen Kämpferinnen  weder in die eine noch die andere Stadt Flugtickets bezahlen wird. Die kongolesische Regierung schultert dieses Mal bekanntlich einen Großteil der Kosten für die Durchführung der Wahlen, „und dann“, sagt Judex, „bleibt für uns wieder kein Geld.“ Judex mag Politik nicht besonders, weil sie sich, seit er denken und boxen kann, immer störend auf sein Training ausgewirkt hat. Warum muss die Demokratie im Kongo (so es denn eine bleibt) ausgerechnet jetzt ihren großen Auftritt haben – mitten in der Vorbereitungsphase auf die Olympischen Spiele in London. Bei denen wird wahrscheinlich keine kongolesische Kämpferin teilnehmen. Wahrscheinlich. Es gilt, wie immer im Kongo, die Devise: Nichts glauben, alles für möglich halten.

P.S.: Beim Sparring habe ich übrigens genau drei Runden durchgehalten. Dann blieb mir die Luft weg.