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Obama, der Islam und Sudan

Wenn es noch Zweifel gab, sind sie nach der Rede von Kairo beseitigt: Zumindest als Rhetoriker ist Barack Obama ein Weltpräsident. Der Mann kann in jeder Ecke dieser Erde das Gefühl vermitteln, dort zuhause zu sein, ohne sich anzubiedern. Er kann sich mit den Opfern eines jeden Menschheitsverbrechens und jedweder Unterdrückung solidarisieren – zuletzt in der Türkei mit Armeniern, jetzt mit Juden und Palästinsern – ohne politisch beliebigen Mitleidskitsch zu betreiben wie sein Vorvorgänger Bill Clinton. Obama mag man nicht einmal übel nehmen, dass ganz Kairo unter Hausarrest gestellt schien, während er in der Universität von Freiheit und Demokratie redete. Im Gegenteil: das ist die hohe Kunst des politischen Jiu-Jitsu. Obama erwies Ägyptens Präsident Hosni Mubarak minimale diplomatische Höflichkeit – und demütigte den altersstarren Herrscher eines Polizeistaats dann mit einer Rede wider die Repression. Eine Rede, wohl gemerkt, in der er seinem eigenen Land, den USA, ausdrücklich den Anspruch der Unfehlbarkeit nahm.

Überhaupt – es war strategisch brilliant, ausgerechnet die Hauptsstadt eines arabischen Landes auszuwählen, um muslimische Holocaust-Leugner, jüdische Extremisten und amerikanische Rachefanatiker an den Pranger zu stellen. Was auch immer an realer Politik auf diese Rede folgen wird: für 55 Minuten hat Obama eine Internationale der Moderaten und Liberalen aller Religionen heraufbeschworen.

Gibt’s also irgendetwas zu kritisieren an diesem beeindruckenden Auftritt? Ja – und das nicht, weil Journalisten immer meckern müssen. Obama hat endringlich von allen Konfliktparteien im Nahen und Mittleren Osten Respekt für die historischen Traumata der jeweiligen Feinde eingefordert. Denn nur wer anerkennt, was der Andere in seiner Geschichte erlitten hat, kann irgendwann Frieden schließen.

Aber er hat es leider unterlassen, eine der größten, aktuellen Katastrophen ausführlich zu benennen: die Verbrechen in Darfur und die Gefahr eines neuen Krieges im Südsudan. Darfur erwähnte er zusammen mit Bosnien nur in einem Satz.

Nun geht es nicht darum, dass Obama in Kairo die komplette Liste aktueller Gräueltaten hätte verlesen sollen. Aber der Sudan ist Ägyptens Nachbar, und das Schweigen der arabischen Staaten zu diesem Menschheitsverbrechen in den eigenen Reihen ist der größte Skandal in dieser Region. Als der Internationale Strafgerichtshof Anfang März Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir erließ, wurde dieser wenige Tage später von Hosni Mubarak in Kairo in die Arme geschlossen – eine demonstrative Missachtung der internationalen Strafjustiz und des Leidens der Darfuris. Ein paar deutlichere Sätze von Barack Obama hätte ich mir dazu gewünscht in dieser Rede von Kairo: dass, wer wortreich das Leiden der Palästinenser beklagt, zum Leiden der Darfuris nicht schweigen kann. Ein passendes Zitat aus dem Koran hätte Obama sicher auch gefunden.