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Wer hat Angst vor Ilse Aigner?

 

Wenn das nicht zum Fürchten ist: Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner droht dem 400-Millionen-Nutzer schweren Sozialen-Netzwerk-Anbieter Facebook damit, ihren Account dort zu löschen, falls Facebook nicht seine Datenschutzrichtlinien überarbeitet. Funktioniert Politik jetzt neuerdings nach dem Beleidigtsein-Prinzip?

Damit kein Missverständnis entsteht, die Forderungen Aigners sind berechtigt und Verbraucherschützer stehen dabei voll hinter ihr. Immerhin wolle Facebook beispielsweise jeden Datenschutz am liebsten per „opt-out“ regeln, es also der Fähigkeit der Nutzer allein überlassen, sich zu schützen, wie Falk Lüke vom VZBV-Projekt „Surfer haben Rechte“ sagt. Auch die Weitergabe von Daten Dritter ohne deren Einverständnis „geht gar nicht“.

Allerdings, auf dem Schulhof kann man Streitigkeiten vielleicht nach dem Muster beilegen: „Du hast mich geärgert! Jetzt will ich von dir nichts mehr wissen!“ Ist das aber wirklich ein probates Mittel, um ein datenschutzignorantes US-Unternehmen zur Räson zu bringen?

Eher nicht. Von politisch Verantwortlichen darf mehr erwartet werden. Sie sollten eigentlich wissen, welche Instrumente ihnen zur Verfügung stehen. Natürlich kann Ilse Aigner wie Lieschen Müller agieren und einfach ihr Privatkonto kündigen. Als Politikerin könnte sie aber auch die politische Geschäftsgrundlage in Frage stellen. Etwa das Safe-Harbor-Abkommen, dem Facebook beigetreten ist.

Abgeschlossen wurde das Abkommen nach zähen Verhandlungen vor einem Jahrzehnt zwischen der EU und den USA. Es soll garantieren, dass personenbezogene Daten von Europäern von amerikanischen Unternehmen nur dann verarbeitet werden, wenn diese vergleichbare Datenschutzstandards einhalten wie europäische Firmen. Vermutlich hat die Verbraucherministerin von dem Abkommen aber noch gar nichts gehört.

Das kann daran liegen, dass es in der Praxis so bedeutungslos ist. Ein Gutachten des US-Beratungsunternehmens Galexia mit dem Titel „The US Safe Harbor – Fact or Fiction?“ zeigte vor einiger Zeit die Wirkungslosigkeit des Abkommens: So behaupteten 206 Unternehmen, Mitglied von Safe Harbor zu sein, die es gar nicht waren. Andere zeigten das Logo des Abkommens auf ihrer Seite, erfüllten aber gar nicht die dazu notwendigen Bedingungen. Insgesamt brachten nur 348 Unternehmen die Mindestvoraussetzungen. Trotzdem ist bislang nur ein einziges Unternehmen wegen Falschangaben verurteilt worden – jedoch ohne Sanktionen erdulden zu müssen.

Ein Abkommen also, das nicht viel bringt. Würde Europa es kündigen, könnten amerikanische Firmen nicht mehr ohne weiteres Daten von Europäern verarbeiten. Buchhändler Amazon beispielsweise geriete ziemlich schnell in Schwierigkeiten, Facebook müsste für Europa eine eigene Plattform schneidern, um legal Anzeigen vermarkten zu können, Google ebenso.

Was also läge näher, als dieses letztlich wertlose Abkommen in Frage zu stellen – und in darauf folgenden Verhandlungen die Spielregeln auf transatlantischer Ebene neu zu definieren? Das wäre kein ahnungsloses Schulhofgeplänkel mehr, sondern reale Politik.