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Ein Sieg und viele Fragen

 

© PATRICK BAZ/AFP/Getty Images

Die Taliban greifen Hotels in Kabul an; die Nato erobert die  Taliban-Hochburg Marjah,  die afghanische Armee hisst zum Zeichen des Sieges die Nationalflagge über der Stadt; der Bundestag beschließt die Verlängerung des Afghanistan-Mandats und gleichzeitig die Aufstockung des Truppenkontingents. Das sind drei Nachrichten an einem Tag. Ihre Botschaft ist dieselbe: Der Krieg intensiviert sich in Afghanistan.

Das war zu erwarten, doch in welche Richtung schlägt das Pendel aus?

Ist Marjah wirklich ein Sieg? Und wenn ja, wird er von Dauer sein? Werden mehr deutsche Soldaten helfen, den Krieg zu entscheiden, oder sinkt Deutschland noch tiefer in den afghanischen Sumpf? Sind die Angriffe der Taliban auf Hotels in Kabul Verzweiflungstaten, oder sind sie ein Zeichen der Stärke?

Eindeutige Antworten können wir nicht geben. Sicher ist nur eines: Die Zeit spielt in die Hände der Taliban. Sie müssen nicht siegen, sie müssen nur weiterkämpfen, ein Jahr noch, zwei, vielleicht auch drei. Sie werden schon allein deshalb weiterkämpfen, weil sie  im Unterschied zu den Soldaten der Nato keine Heimat haben, in diese sie zurückkehren könnten. Ob es nun gelingt, Teile der Taliban auf dem Verhandlungswege zu gewinnen, ist mehr als fraglich. Doch auch hier ist der Faktor Zeit entscheidend. Warum sollen sie heute über etwas verhandeln, was sie in ein paar Jahren zu einem viel günstigeren Preis bekommen können? Warum sollen sie sich heute einlassen auf einen Kompromiss mit der Regierung in Kabul, wenn sie sie morgen schon stürzen könnten?

Die Taliban haben Zeit, die Nato hat keine. Denn ihr geht die Luft aus. Der beschlossene Rückzug der Holländer 2010 ist nur das dramatischtes Beispiel dafür. Schlecht ist das nicht. Man sollte die „Schwäche“ der Nato nämlich als den Anfang vom Ende der Nato als globale Interventionsmacht interpretieren.

Das transatlantische Verteidigungsbündnis, ursprünglich als antisowjetisches Bollwerk konzipiert, hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges zum weltweit aktiven militärischen Arm des Westens umdefiniert. Der Kosovo Krieg 1999 war der erste Testfall, Afghanistan ist der größte und wichtigste. Wenn also die Nato in Afghanistan zerbricht, dann ist es diese eine Nato als globale Interventionsmacht – nicht das Verteidigungsverbündnis.

P.S.: Das Foto soll die Eroberung Marjahs zeigen. Bei der Betrachtung fragt man sich: Was? Das ist Marjah? Ein Feld, eine Lehmmauer, ein paar Hütten? Wo ist eigentlich das Zentrum? Gibt es dieses Zentrum? Wo sind die Regierungsgebäude? Wo soll die Regierung residieren, die Nato-Befehlshaber in Afghanistan, Stanley McChrystal,  mit sich bringen will: „In the box, ready to roll in!“ – wie er sagte. Hat Marjah wirklich 80.000 Einwohner?  Hat die Nato 15.000 Soldaten in Marsch gesetzt, um eine Fahne über diesem Feld zu hissen?