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Die Spendendebatte ist irreführend

 

Die große Regenflut: Der Ort Bassera im Punjab. (c) GETTY-Images

Wenn „wir“ nicht helfen, dann helfen die Taliban. Das ist ein Argument, das man in diesen Tagen und Wochen, da große Teile Pakistans in den Fluten versinken, immer wieder hört. Es soll die Menschen im Westen dazu motivieren, Geld an die notleidenden Pakistaner zu spenden.

Diese Logik hebelt das Grundprinzip humanitärer Hilfe aus: Neutralität. Man hilft Menschen in Not, egal welchen Überzeugungen sie anhängen mögen. Oder sollen wir etwa nicht spenden, weil die Ertrinkenden islamistischem Gedankengut anhängen?

Der Wettlauf mit den Taliban, der mutwillig in den westlichen Medien
ausgerufen wird, ist irreführend und gefährlich. Irreführend ist der
Gedanke, weil er jede Differenzierung a priori ausschließt. Jede islamische Organisation wird schnell zum Taliban deklariert.

Es besteht kein Zweifel darüber, dass sich unter den helfenden Händen zahlreiche befinden, die an anderen Tagen gerne Bomben schmeißen. Da darf nichts verharmlost werden.

Doch wieviele sind es? Wer ist es? Vor allem aber: Man gewinnt den Eindruck als gäbe es in Pakistan nur die Taliban, die helfen. Unter der
Wettkampfbrille der Medien verschwinden alle andere Organisationen, die es durchaus gibt, ja selbst die pakistanische Armee taucht kaum mehr auf. Dabei ist sie eine der wichtigsten Helfer in der Not.

Die Taliban selbst freuen sich über den in den Medien hinausposaunten Wettkampf — selten haben sie so viel Aufmerksamkeit bekommen, selten erschienen sie wie ein ebenbürtiger Gegner. Ihre Bedeutung wird so unverhältnismäßig gesteigert.  Zudem sind viele Pakistaner sehr religiös und bei nicht wenigen haben die USA einen sehr schlechten Ruf. Doch deswegen müssen diese Pakistaner im Umkehrschluss nicht gleich mit islamistischem Extremismus sympathisieren oder, mehr noch, selbst Extremisten sein.

Schließlich verrät das Argument von dem „wir oder sie“, dass die Pakistaner wie Stimmvieh betrachtet werden. Es wird morgen blind dem nachlaufen, der ihn heute buchstäblich über Wasser hält. Der Pakistaner als selbstständig denkendes, rationales Subjekt taucht nicht auf. Dabei haben die Pakistaner immer wieder bewiesen, dass sie sehr wohl wissen, was sie von Extremisten zu erwarten haben.

Islamistische, extremistische Parteien sind in der gesamten Geschichte Pakistans bei Wahlen nie weiter als über insgesamt zwölf Prozent der Stimmen gekommen. 2004 haben sie in der Region Pakhtunwha – die heute von den Fluten schwer getroffen ist – in einer Koalition aus islamistischen Parteien zwar die Wahlen gewonnen. Doch vier Jahre später wurden sie abgewählt. Die Wähler hatten sie für ihre Unfähigkeit bestraft.