Die Nato hat Afghanistan nicht aufgegeben, aber in den Köpfen von Generälen und Politikern hat die Abwicklung des Einsatzes schon begonnen. Noch ist alles etwas schwammig, Zeitpunkt wie Bedingungen, unter denen das Militärbündnis Afghanistan verlassen wird. Es ist nicht einmal klar, was genau eigentlich Abzug bedeutet. Werden alle Soldaten gehen? Bleiben einige? Und wenn ja, wie viele und aus welchen Ländern?
Trotzdem ist klar: Die Nato will raus aus diesem Krieg. Sie hat dafür gewiss den Segen der Öffentlichkeit, denn die Intervention findet schon seit geraumer Zeit in keinem der Nato-Mitgliedsländer eine Mehrheit. Die Frage, die sich aber stellt ist eine ganz andere: Kommt die Nato denn überhaupt aus Afghanistan so leicht raus?
In diesen Tagen wird sie jedenfalls noch tiefer in den Krieg hineingezogen – und zwar nicht mehr nur in Afghanistan, sondern vor allem in Pakistan. Aufständische haben zuletzt mehrmals die Nachschubrouten der Nato in Pakistan angegriffen.
70 Prozent der gesamten Versorgung für die mehr als 130.000 Soldaten kommt über Pakistan. Die wichtigste Verbindung führt von der pakistanischen Grenzstadt Peshawar über den Khyberpass nach Kabul. Das macht die Nato verwundbar für die Attacken der Aufständischen. Zwar hat es solche Angriffe in den vergangenen Jahren manchmal gegeben, die Intensität ist jedoch neu.
Die wirklich beängstigende Neuigkeit aber kommt nicht von Aufständischen, sie kommt von einem alten Verbündeten: Erstmals hat die pakistanische Regierung vergangene Woche den Khyberpass für den Nato-Nachschub sperren lassen. Sie tat dies, um gegen einen Zwischenfall zu protestieren, bei dem ein Hubschrauber der Nato drei pakistanische Grenzsoldaten auf pakistanischem Staatsgebiet unter Feuer genommen und getötet hatte. Die Internationale Schutztruppe Isaf bestritt den Vorfall, doch es half nichts. Islamabad entschloss sich zu diesem dramatischen Schritt.
Der Unmut über die Nato ist in Pakistan in den vergangenen Jahren beträchtlich gewachsen. Schuld daran sind vor allem die stark zunehmenden Drohnenangriffe der USA. Immer häufiger werden diese Waffen eingesetzt, um Terroristen und Taliban auf pakistanischem Staatsgebiet zu töten. Dabei sind zwischen 2004 und September 2010 rund 1800 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als 30 Prozent der Todesopfer waren Schätzungen zufolge nicht beteiligte Zivilisten.
Viele Pakistaner, längst nicht nur extremistische Islamisten, fordern seit geraumer Zeit, die Regierung müsse sich gegen die fortwährende Verletzung der pakistanischen Souveränität durch die Drohnenangriffe mit wirksamen Mitteln wehren. Die Schließung der Nachschubroute ist eines davon. Es ist der einfachste Weg für Pakistan die Nato hart zu treffen, ohne selbst einen hohen Preis zahlen zu müssen. Auf den ersten Blick jedenfalls.
Es mag unwahrscheinlich erscheinen, dass es zu einem militärischen Konflikt zwischen Pakistan und den USA kommt, doch die Schließung des Khyberpasses ist ein weiterer Schritt in der Spirale des Krieges. Er weitet sich nicht nur aus, sondern es ist jetzt zumindest denkbar und sichtbar geworden, dass eine neue Kriegspartei dazukommt: das bisher offizielle neutrale Pakistan.
Sicher ist jedenfalls, dass der Anlass für den Konflikt nicht beseitigt werden wird: Auch weiterhin werden die USA ferngesteuerte Drohnen mit Bomben an Bord Richtung Pakistan schicken – mit dem Segen aller ihrer Verbündeten.
Es scheint so, dass die Terrorgefahr aus jener Gegend größer geworden ist – wenn man den Geheimdiensten glauben will, dann sind größere Anschläge in Europa geplant. Nun, da die Nato sich mit dem Rückzug aus Afghanistan beschäftigt, steht sie einer Ausweitung und einer Vertiefung des Krieges gegenüber. Sie droht in dem afghanisch-pakistanischen Treibsand zu versinken.