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Ein Lob der Anarchie

 

Julian Assange ist viel gescholten worden für sein Dogma, alles müsse transparent sein. Kindisch, sei das, und unanständig. Freilich, an den Vorwürfen ist was dran. Doch man stelle sich einmal vor, Assanges Wikileaks hätte vor dem Irakkrieg Dokumente aus dem Weißen Haus veröffentlicht. Wir hätten lesen können, wie George W. Bushs Männer die Öffentlichkeit schamlos belogen, wie sie Informationen manipulierten, ja wie sie vor nichts zurückschreckten, um nur diesen Krieg gegen den verhassten Saddam Hussein vom Zaun zu brechen. Hätte der Irakkrieg im Lichte solcher Enthüllungen stattfinden können? Wahrscheinlich nicht. Der viel gescholtene „Kindskopf“  Assange also hätte einen Krieg verhindert, der hunderttausenden Menschen das Leben kostete. Er wäre ein Kandidat für den Friedensnobelpreis gewesen.

Alles Spekulation, gewiss. Doch ist sie ein starkes Argument gegen den Vorwurf der Kindsköpfigkeit Assanges. Nein, Kinder sollten gewiss nicht an die Macht! Auch nicht Assange. Doch – wer kennt es nicht?  –  Kinder verfügen über Zauberkräfte. Sie sie sind es, die in ihrer naiven Unschuld sagen: Der Kaiser ist nackt! Jeder kennt das Befreiende dieses Satzes.

Genau darin besteht das Gute des anarchistischen Aktes: Er ist befreiend. Für einen Moment nur, aber es ist ein Moment, der das Leben dessen, der ihn bewusst erlebt, für immer verändern kann. Auch Günther Schabowski handelte im besten Sinne anarchistisch, als er im November völlig unerwartet den DDR-Bürgern die Ausreise erlaubte. Die Folge: Die Mauer fiel. Die Welt war eine andere.

Sicher, Assange muss sich messen lassen an den Kategorien, die ein Erwachsenenleben strukturieren. Vertraulichkeit, Verantwortung gehören dazu. Doch das ist nicht der Punkt.

Wirklich interessant an Assange sind die Reaktionen auf ihn. Wie schnell man doch den Stab über ihn gebrochen hat! Freilich, er ist der Mann, der in den gepflegtesten Garten gepinkelt hat, den die Welt zu bieten hat: die Diplomatie. So einen muss man rauswerfen, und möglichst draußen halten. Alles nachvollziehbar.

Trotzdem ist zu hoffen, dass es immer wieder einen geben wird, der wie eine Wildsau den Zaun niederreißt und einbricht in die Welt der geföhnten Vertraulichkeit – denn es ist nun einmal so: Hinter diesem Zaun werden auch Verbrechen ausgeheckt.

Und selbst wenn man durch den Blick hinter den Zaun nur erführe, dass man dort sehr gesittet und in bester Absicht miteinander umgeht, wäre das beruhigend. Wir wüssten, dass die Welt der Diplomaten und Staatenlenker so ist wie wir: stinknormal.