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Wider den Revolutionskonformismus

 

Was würden Sie von einem Politiker halten, der dreißig Jahre lang eine bestimmte Position vertreten hat und sie plötzlich über Nacht wechselt? Vermutlich nicht viel. Würden Sie einen Politiker wählen, der sagt: „Also, was wir da dreißig Jahre lang gemacht haben war völliger Unsinn! Aber morgen, ab morgen machen wir es anders, nämlich ganz richtig!“ Nein, Sie würden solche Politiker nicht wählen. Denn Sie würden zu Recht sagen, er sei unglaubwürdig.

Und doch wird derzeit von den westlichen Politikern genau diese Wetterwendigkeit verlangt — und zwar im Namen der revolutionären Moral. Sie sollen für ihre unmögliche Ägypten-Politik Abbitte leisten. Möglichst schnell, möglichst öffentlichkeitswirksam. Desaster, Bankrott, Dummheit. Das sind die Vokabeln, die man jetzt von ihnen hören möchte.

Man muss kein Mitleid haben mit Politikern, die einen Autokraten wie Mubarak über Jahrzehnte gehätschelt haben. Und die ägyptischen Demonstranten, die um ihre Freiheit und ihre Würde kämpfen, und dafür ihre Leben riskieren, haben alles Recht, dem Westen seine verfehlte, doppelzüngige Politik vorzuwerfen. Sie haben auch ein Recht auf Ehrlichkeit.

Doch ein lautes Mea Culpa, das die Öffentlichkeit im Westen nun fordert, hat mir Ehrlichkeit wenig zu tun – aber viel mit Konformismus.  Die Menschen auf dem Tahrir-Platz sind im buchstäblichen Sinne Revolutionäre, ihren Mut, ihre Tapferkeit sind bewundernswert. Doch wir im Westen imitieren nur die Revolution. Die Menschen in Kairo und anderen Städten haben genug von den Lügen ihres Regimes und von der Doppelzüngigkeit westlicher Politik. Sie haben es satt. Und wir im Westen? Wir sollten ihnen Ehrlichkeit bieten. Dazu gehört Selbstkritik, dazu gehört aber nicht die einfache Verdammnis von dreißig Jahren Nahostpolitik. Es gab gute Gründe dafür, Stabilität in einer notorisch instabilen Regionen zu suchen. Israels Sicherheit ist einer davon. Nun einfach alles in die Tonne zu treten, das ist nicht Ehrlichkeit, das ist Flucht vor der Verantwortung.