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Tunesien, Ägypten, Libyen – drei Szenarien

 

Der Freiheitsvirus hat die arabischen Staaten erfasst – doch das macht sie nicht gleich. Im Gegenteil, ohne die Autokraten werden ihre Unterschiede erst sichtbar. Ein Blick in die nahe Zukunft

Ägyptens „Pharao“ Hosni Mubarak ist nach wenigen Wochen massenhaften Protestes gestürzt. Das war nur möglich, weil die Armee Mubarak aus dem Amt gedrängt hat und die USA dabei kräftig mitgeholfen haben. Im Augenblick regiert ein Militärrat das Land bis zu den versprochenen Wahlen. Die entscheidende Frage aber ist: Wird die Armee Macht abgeben? Und will das eine Mehrheit der Ägypter überhaupt?

Die Armee war seit der Geburt der ägyptischen Republik im Jahr 1952 das Rückgrat des Landes. Sämtliche Präsidenten des modernen Ägyptens waren Generäle, auch Hosni Mubarak war einer. Es ist schwer vorstellbar, dass die Armee in Zukunft auf ihre traditionelle politische Rolle verzichten wird. Ob das ägyptische Volk das weiter akzeptieren wird, wissen wir heute nicht. Den Sturz Mubaraks hat die Armee nicht gewollt, doch als er unvermeidbar war, hat sie den Übergang relativ friedlich organisiert. Viele Ägypter sind ihnen dafür dankbar.

Es ist daher sehr wohl möglich, dass der Sturz Mubaraks nur eine Episode bleibt und sich das Regime der Generäle in einer abgemilderten Form stabilisiert. Wenn man nach Modellen für Ägypten sucht, dann erscheint Pakistan als ein mögliches. Dort gibt es Präsidenten, Regierung und Parlament, alle einwandfrei demokratische gewählt – doch in den wesentlichen Fragen entscheidet die Armee. Sie agiert dabei hinter den Kulissen. Das macht sie weniger verwundbar.

Der tunesische Dikator Ben Ali floh wie ein ertappter Dieb aus seinem Land. Der Kleptokrat stützte sich vor allem auf eine hoch gerüstete Polizei. Die tunesische Armee ist klein und schwach. Beim Sturz Ben Alis konnte sie zwar eine entscheidende Rolle spielen, aber im Unterschied zu Ägyptens Armee hat sie nicht das nötige Gewicht, um die Zukunft des Landes zu gestalten. Eine ganze Reihe von Gruppen konkurrieren derzeit in Tunesien um die Macht. Sie sind alle mehr oder weniger gleich stark, oder vielleicht müsste man besser sagen: gleich schwach. Das kann zu einer dauerhaften Instabilität führen.

Dagegen spricht jedoch, dass Tunesien eine relativ starke, gebildete Mittelschicht hat. Wenn sie eine politische Rolle findet, könnte sich das Land schnell stabilisieren. Noch dazu ist Tunesien sehr klein. Hilfe aus Europa kann schneller wirken als in dem riesenhaften Ägypten. Tunesien, ein kleiner, an Europa in irgendeiner Form angebundener Staat. Das ist eine Möglichkeit.

In Libyen ist der Blick in die Zukunft hingegen durchweg düster. Wir sehen im Moment ein Land, das zwischen Clans und Stämmen tief zerklüftet ist. Was die Brutalisierungsmaschine Muammar al-Ghadhafis noch alles anrichten wird, kann keiner sagen, doch die Verheerungen, die er immer noch anordnet, sind immens. Die Tage Ghadhafis als unumschränkter Herrscher des Landes sind zwar gezählt, doch wird es nach seinem endgültigen Abgang schwer sein, ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Gruppen herzustellen.

Ein innerlich zerfallenes, schwaches Land könnte das Ergebnis des Umsturzes sein. Eine Art von Afghanistan oder Somalia vor den Toren Europas. Von einer möglichen militärischen Intervention wird schon gesprochen. Keine beruhigende Aussicht.