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Warum die Nato so zerstritten ist

 

1999 führte die Nato als Bündnis ihren ersten Krieg gegen das Jugoslawien Slobodan Milosevic’s. Auch damals – wie heute in Libyen – begründete die Nato ihren Einsatz mit humanitären Argumenten. Es galt, die Kosovaren vor der serbischen Repression zu schützen. Der Einsatz dauerte 78 Tage. Über die ganze Zeit hinweg trat das Bündnis nach außen geschlossen auf, die USA hatten die Führungsrolle. Es gab gewiss Streit zwischen den einzelnen Bündnispartnern, doch im Unterschied zum Libyen-Einsatz taten sich keine Risse im Bündnis auf.

Dennoch gibt es heute mehrere Parallelen zum Kosovo-Krieg. Die Nato rechnete seinerzeit damit, dass Milosevic sehr schnell klein beigeben würde. Doch das tat er nicht. Nach zwei Wochen waren der Nato die Ziele für ihre Bomben ausgegangen. Ähnliches kann man heute für Libyen sagen. Nachdem Nato-Kampfflugzeuge die Truppen Gadhafis daran gehindert haben, Bengasi einzunehmen, und nachdem es den Rebellen nicht gelungen ist, Gadhafi zu stürzen, herrscht Ratlosigkeit. In Berlin wollten die Nato-Außenminister nun mit einer Tagung zum Libyen-Einsatz Geschlossenheit demonstrieren. Doch die wichtigste Frage ließen sie weiter unbeantwortet: Wie weit kann und darf die Allianz in Libyen eingreifen?

Auch im Kosovo-Krieg wusste man seinerzeit zwei Wochen nach Beginn der Bombenkampagne nicht recht weiter. Milosevic saß ungerührt in Belgrad, so wie es heute Gadhafi tut. Man begann deshalb 1999 über eine Invasion mit Bodentruppen zu sprechen, und sie auch zu planen. Das ist im Libyen-Krieg nicht der Fall. Denn eine Entsendung von Bodentruppen wird von der UN-Resolution 1973 ausdrücklich ausgeschlossen (für den Kosovo gab es kein ausdrückliches UN-Mandat).

Die Stillstand an der libyschen Front ist der Anlass für den heftigen Streit in der Nato. Der Grund ist die fehlende Strategie. Das Hauptproblem dabei ist, dass man laut UN-Resolution intervenierte, um die libyschen Zivilisten vor Gadhafis Rache zu schützen. Die Resolution erteilt aber keinen Freibrief zum Sturz Gadhafis. Nur, wie können die oppositionellen Libyer sicher sein, solange der Diktator an der Macht ist? Müsste man nicht den ganzen Weg gehen? Müsste man nicht bis nach Tripolis marschieren?

Die Rebellen haben es versucht, aber sie können es nicht – jedenfalls noch nicht. Wer aber kann es dann? Die Nato? Über diese Frage würde sie sich noch mehr zerstreiten, bis zur Lähmung. Und was muss man tun, um Zivilisten zu schützen? „Responsibility to protect“ – die Pflicht der internationalen Gemeinschaft, verfolgte Zivilisten zu schützen, gibt theoretisch den Rahmen her. Ein Prinzip, zu dem sich die UN-Vollversammlung im Jahre 2005 bekannte. Der Libyen-Krieg soll ein Testfall dafür sein. Doch wie bewerkstelligt man das? Mit welchen Mitteln? Kampfbomber haben die Menschen in Bengasi geschützt, kein Zweifel. Doch jetzt? Die Franzosen und die Engländer kritisieren die Nato, sie tue zu wenig, sie bombardiere nicht genug. Doch was soll sie bombardieren? Die Straßenzüge von Misrata, in denen sich Gadhafis Truppen und Panzer verschanzen?

Oder soll man die Rebellen doch bewaffnen? Die Italiener haben dies gefordert, die Belgier haben es ausgeschlossen. Die Briten wollen Geld schicken, nicht aber für Waffen, sondern dafür, dass man in Bengasi die Müllentsorgung weiter bezahlen kann und ähnliche kommunale Dienstleistung aufrechterhalten werden können  – was zugegebenermaßen etwas seltsam klingt.

Der Grund für diese Verwirrung ist, dass die internationale „Pflicht zum Schutz“ von Zivilisten ein Prinzip ist, das nicht eingrenzbar ist. Wenn überall auf der Welt dieses Prinzip gelten soll, dann droht ein permanenter Kriegszustand. Wenn es nur selektiv gelten soll, wenn man also nur dort intervenieren soll, wo es möglich ist, dann wird das Prinzip selbst geschwächt.

Und es bleibt immer noch die Frage der Umsetzung. Wenn man auch nur im Einzelfall interveniert, wie in Libyen oder im Kosovo, wie weit geht man dann mit dem Schutz? Bis zum äußersten? Das heißt, bis zur Besetzung eines Landes? Wenn die Antwort: „ja“ lautet, dann taucht schon gleich die nächste Frage auf: Wer kann sich die Besetzung leisten? Die am Randes des Bankrott wandelnden USA?