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Die Perversion einer guten Idee

 

War der Libyen-Krieg eine humanitäre Intervention? Darüber und über den Einsatz als solchen wird in unserer Redaktion und unter unserer Leserschaft heftig gestritten. Gestern schrieb Jochen Bittner: Mit der Libyen-Intervention der Nato wurde schlimmere Gewalt verhindert. Hier antwortet nun Ulrich Ladurner. Er hat aus allen Kriegen mit westlicher Beteiligung seit 1992 (Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Afghanistan, Irak, Libyen) als Reporter berichtet.

Die internationale Gemeinschaft ist dazu verpflichtet, Menschenrechte zu schützen – wo auch immer. Das ist eine schöne, noble Idee. Sie ist bereits in der Charta der Vereinten Nationen festgehalten, wenn auch etwas schwammig. 2005 wurde diese Idee unter der Formel Responsibility to Protect weiter konkretisiert. Seitdem reden wir von „Schutzverantwortung“. Diese Idee war die Grundlage für die Intervention der Nato in Libyen. Die Resolution des Sicherheitsrates 1973 beruft sich auf diese Schutzverantwortung. Mit anderen Worten: Die Libyen-Intervention der Nato gilt unter ihren Befürwortern als lupenreine „humanitäre Intervention“.

Doch leider ist das Gegenteil der Fall: Diese Intervention ist in Wahrheit die Perversion einer guten Idee.

Es ist auffallend, wie Kriegsbefürworter sich darum bemühen, alle Schattenseiten dieses Krieges anzusprechen. Die Menschenrechtskrieger wollen offensichtlich auch im Krieg noch korrekt sein und listen alles penibel auf. Die Nato hat die Resolution 1973 eigenmächtig ausgelegt? Ja, gewiss, aber es war für einen guten Zweck! Die Nato hat sich von Beginn an zur Luftwaffe der Rebellen gemacht? Ja, aber der Zweck war wichtig! Die Rebellen haben sich der Kriegsverbrechen schuldig gemacht? Ja, aber diese Barbarei wird überstrahlt vom hellen Licht unseres Zwecks! Gadhafi ist von einem Mob gelyncht worden unter kräftiger Mithilfe der Nato? Ja, aber der Zweck! Es war für einen guten Zweck! Und so geht es weiter.

Die Befürworter des Krieges kehren all den Schmutz nicht unter den Teppich, sie sammeln ihn. Das ist schlimmer. Sie stellen die Barbarei aus und erklären sie im Lichte des Fortschritts für unerheblich. Auf diese Weise werden die Menschenrechte herabgewürdigt.

Man kann dem Krieg in Libyen zustimmen, nur humanitär sollte man ihn nicht nennen – zum Wohle der Menschenrechte. Die Schutzverantwortung bleibt eine gute, noble Idee. Die Intervention in Libyen beweist aber, dass sie Gefahr läuft, zur Ideologie zu verkommen. Denn das Kennzeichen aller gefährlichen Ideologien ist eben dies: Der Zweck heiligt die Mittel.

Der Dichter Robert Gernhardt hat ein paar schöne Zeilen dafür gefunden:

Mein liebes Kind, wir wollen Dich befreien,
Das heißt: Wir müssen dich zuvor beschießen.
Wenn Du das so verstehst: Als das Begießen
des Pflänzchens Freiheit, wirst du uns verzeihen