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Der Libyen-Krieg ist noch nicht zu Ende

 

Ein Krieg ist noch lange nicht zu Ende, wenn ein Diktator stürzt. Das zeigt sich in Libyen. Anhänger des alten Regimes haben die Wüstenstadt Bani Walid erobert. Im Kampf um diese Stadt werden Panzer und Flugzeuge eingesetzt. Aus Tripolis eilen Kämpfer in die Wüste. Man fühlt sich an den Sommer des vergangenen Jahres erinnert. Damals strömten Aufständische mal hierhin, mal dorthin – immer auf der Jagd nach Diktator Muammar al-Gaddafi. Schließlich wurden sie seiner habhaft und lynchten ihn. Das sollte der Endpunkt des Krieges sein.

Doch vielleicht war es erst der Beginn einer neuen Runde. Vor wenigen Tagen stürmte in Bengasi eine aufgebrachte Menge das Gebäude des Übergangsrates. Der Vorsitzende des Rates Abdel Jalil sagte: „Wir haben nur zwei sehr bittere Optionen. Entweder begegnen wir dieser Gewalt mit harter Hand. Das würde zu einer militärischen Konfrontation führen, die wir nicht wollen. Oder wir trennen uns, und es wird zu einem Bürgerkrieg kommen!“

Nun, das muss alles nicht so kommen. Die Libyer müssen erst einmal eine neue Balance herstellen. Nach mehr als vierzig Jahren Diktatur ist das nur allzu verständlich.

Doch was ist, wenn Jalils „Optionen“ tatsächlich eintreten? Wen wird die Nato im Falle eines ausbrechenden Bürgerkrieges bombardieren? Keine der Parteien? Das wäre klug.

Und wenn es zu Massakern unter Zivilisten kommt? Sollte dann das Argument der „humanitären Intervention“ nicht gelten? Wahrscheinlich nicht. Denn das Risiko in einen komplexen, langwierigen Konflikt mit unübersichtlichen Fronten hineingezogen zu werden, ist zu groß. Die selbst ernannten Krieger für die Menschenrechte, wie der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Premier David Cameron, werden sich sehr schnell als kaltschnäuzige Realpolitiker erweisen.

Doch sollte Libyen wirklich in einen Bürgerkrieg versinken, dann wird Zusehen keine Option sein. Denn Libyen liegt in unmittelbarer Nachbarschaft Europas – es ist nur wenige Kilometer von Italien entfernt. Und könnte man an der nordafrikanischen Küste einen zerfallenen Staat nach dem Beispiel von Somalia tolerieren? Nein, das wäre nicht möglich.

Also müsste es zu einem Engagement in Libyen kommen, und es wird auch ein militärisches sein. Das wäre dann die bittere Spätfolge eines Krieges, den der Westen so leichtfertig vom Zaun gebrochen hat.

Wie gesagt: Es muss nicht so kommen. Und hoffentlich kommt es so auch nicht. Doch es kann. Und das allein sollte genügen, um das nächste Mal etwas länger nachzudenken, bevor man interveniert – zu welchem Zweck auch immer.