Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Italiens Parteien sind hässlich, aber notwendig

 

Italien ist das schönste Land der Erde mit den hässlichsten Parteien der Welt – gut, das mag wie eine Übertreibung klingen, aber die Italiener selbst würden es nicht für eine solche halten. Nur vier Prozent aller italienischen Bürger haben laut Umfragen noch Vertrauen in die Parteien. Das muss einen nicht wundern, denn die Parteien haben das Land bis an den Rand des Abgrunds geführt. Das Ausmaß ihres Versagens wird erst richtig deutlich, seit der Parteilose Mario Monti Premierminister Italiens geworden ist. Monti genießt eine Zustimmung von mehr als sechzig Prozent, obwohl er sehr schmerzhafte Reformen durchsetzt. Das Volk ist offenbar bereit, sich ohne großes Murren von diesem Mann quälen zu lassen, während es derzeit allein bei dem Wort »Partei« schon aufschreit. Unter der Herrschaft der Parteien haben die Italiener wahrlich lange gelitten, sie haben ihre Eigensucht kennengelernt, ihre Machtgier, ihre Korrumpiertheit und ihre Unfähigkeit. Eine knappe Mehrheit (52 Prozent) glaubt inzwischen, dass »die Demokratie auch ohne Parteien funktionieren kann«. Worauf also warten? Auf den Müllhaufen der Geschichte mit diesen Parteien! Her mit Technokraten wie Monti! Ein dreifaches Hoch auf die graue Maus!

Einfach klingt das – gefährlich verlockend. Darum sollen an dieser Stelle die schrecklichen italienischen Parteien verteidigt werden.

Fangen wir gleich mit einer der fürchterlichsten an, mit der Lega Nord. Ihr Chef Umberto Bossi ist eben erst zurückgetreten, weil sich Leute in seinem engsten Umfeld die Taschen mit Geld gefüllt haben. Ausgerechnet die Lega, die sich als Verein der Saubermänner aufführte und immerzu gegen die korrupten Parteien aus Rom wetterte. »Roma ladrona!«, »Diebisches Rom!«, das war ein populärer Kampfruf Bossis. Nun hat er die Diebe im eigenen Haus. Außerdem ist zur Lega Nord noch zu sagen, dass sie rassistisch, vulgär, borniert, populistisch, islamfeindlich ist. Es gibt also nichts, was an ihr zu verteidigen wäre, nur eben das eine: dass sie eine Partei ist. Ein freier Zusammenschluss von Menschen, die in die Politik eintreten, um etwas zu ändern. Die Lega hat die Menschen in die Arena der Politik gebracht, die sich nicht vertreten fühlten. Als sie auf diese Bühne traten, zeterten, maulten, schimpften und spuckten wie die Berserker – alles sehr unappetitlich. Aber sie waren da, sichtbar, mit einem Anliegen: Wir wollen mitreden! Ihr Vehikel dafür war die Partei. Wäre etwas anderes besser gewesen: das aggressive Schweigen Hunderttausender etwa, die ressentimentgeladene Verbarrikadierung im Privaten oder der Protest auf der Straße?

Auch der unsägliche Silvio Berlusconi hat Millionen von Menschen in die Politik geführt oder sie in ihr gehalten. Sicher, Berlusconi hat Politik simuliert, während er sich bereicherte und Rom in ein Bordell verwandelte. Seine Partei heißt Popolo della Libertà – Partei der Freiheit. Wobei sie unter Freiheit verstand, alles zu tun, was ihr beliebte, ungeachtet aller Gesetze und Sitten. Auch an dieser Partei gibt es nichts, was man gut finden könnte, außer der Tatsache, dass Menschen sich zusammenfanden, um ihre Vorstellungen und Interessen gemeinsam durchzusetzen.

Das ist nicht immer schön, mitunter sogar abstoßend, das kann gefährlich und bedrohlich für die Demokratie sein – nur welches sind die Alternativen? Eine Lichtfigur wie Mario Monti. Aber der »Montismus«, der Glaube also, dass man ohne Parteien und ohne vom Volk gewählt werden zu müssen, das Beste für ebendieses Volk tun könne, ist eine Illusion. Monti selbst weiß das. Er wiederholt immer wieder, dass er nur auf Zeit bleiben werde, bis der Karren aus dem Dreck gezogen sei. Dann seien wieder die Parteien dran. Das heißt, es sind dann wieder die Italiener dran. Monti kann nur Übergang sein, das muss so sein, denn die Demokratie braucht den Machtwechsel, wenn sie Demokratie bleiben will.

Parteien kommen im Übrigen nicht aus dem Nichts. Sie sind so gut und so schlecht wie die Bürger, die sich in ihnen engagieren. Gewiss, auf die Lega Nord, auf Berlusconi hätte die Kulturnation Italien verzichten können, doch sie hat es nicht getan.

All die Hässlichkeiten der Parteien loszuwerden ist ein mühsamer Prozess, da müssen viele Räder ineinandergreifen. Eine debattenfreudige Öffentlichkeit, starke Institutionen, wacher Bürgersinn – das sind die Kräfte, die das Bedrohliche an den Parteien abschleifen können. Mailand macht es vor. Dort haben Bürgerkomitees jüngst die Wahl eines Reformbürgermeisters ermöglicht. Diese Komitees verstehen sich nicht als Ersatz für Parteien, sondern als deren Antrieb, als Stachel in ihrem Fleisch. Reform der Parteien ist die Aufgabe, nicht deren Abschaffung. Dann nämlich wäre eine Grundlage der repräsentativen Demokratie zerstört.