mein Leitartikel aus der aktuellen Ausgabe der ZEIT
Formel 1 in einem Folterstaat, Eishockey bei einem Diktator? Warum der Sport niemals einfach nur Sport ist
Formel 1 ist was für Männer, die gern schnelle Runden auf dem Asphalt drehen, und für Frauen, die ihnen dabei zuschauen oder in der Box auf die euphorisierten Piloten warten. Formel 1, das ist eine ziemlich anachronistische Veranstaltung, getragen wie sie ist von rasender Geschwindigkeit, brüllendem Motorenlärm und die Gefahr suchenden Männern. Überflüssig, könnte man meinen. Aber Millionen hängen diesem Sport an, Millionen werden mit ihm gemacht. Wer ein Rennen veranstaltet, erhofft sich davon Prestige. Darum rasen die Boliden durch die Straßen des kitschigen Fürstentums Monaco, durch die pulsierende Metropole Shanghai, und am kommenden Sonntag sollen sie im winzigen Golfemirat Bahrain wieder um die Wette fahren. Wieder, weil das Rennen letztes Jahr abgesagt wurde. Politische Unruhen, Gewalt in den Straßen. Scheich Isa bin Salman al-Chalifa wollte nichts riskieren. Doch jetzt fühlt der Scheich sich sicher genug. Der Formel-1-Zirkus ist in Bahrain hochwillkommen. Der Scheich hat sein kleines Reich befriedet, mit amerikanischen Panzern, Knüppeln, Folter. Die Berichte von Menschenrechtsorganisationen über die Repression in Bahrain sind Berichte des Schreckens.
Auf den Straßen wird gefahren – in den Häusern wird gefoltert
Darf in einem Land wie diesem ein Formel-1-Rennen stattfinden? Müssen diese Autos wirklich an Häusern vorbeifahren, in denen nach Angaben von Oppositionellen Menschen gefoltert wurden? Müssen Hunderttausende Fernsehzuschauer dem zusehen? Könnte man nicht einfach mal verzichten, aus Protest, aus Solidarität mit den Gefolterten? Diese Frage kann man auch an Mercedes oder Red Bull stellen.
Der Präsident der FIA, Jean Todt, gab eine abschlägige Antwort und begründete sie mit den Worten: »Wir sind eine Sportorganisation. Wir interessieren uns nur für Sport!« Das freilich ist eine billige Ausrede, und es ist naiv. Denn Todt mag sich als Sportfunktionär nicht für Politik interessieren, doch die Politik interessiert sich für den Sport. Besonders repressive Regime lieben es, sich in dem doch so unverdächtigen, grellen Licht des Sports zu sonnen. Wo Sportler nach klaren Regeln ihre Kräfte messen, da wird es doch mit rechten Dingen zugehen. Oder wollte man sich vorstellen, dass einem Mann in einem Foltergefängnis die Knochen gebrochen werden, während wenige Meter entfernt Sebastian Vettel siegreich über die Ziellinie rast? Oder dass eine Frau in einem bahrainischen Kellergefängnis vergewaltigt wird, während man vor dem Fernseher sitzt und über den Nationalhelden Michael Schumacher debattiert: »Der Michael, nein, der Michael hätte auf sein Comeback doch lieber verzichten sollen!«?
In diesem Jahr werden die Formel-1-Fahrer wieder in Bahrain starten. Die Verantwortlichen der Internationalen Automobil Vereinigung FIA haben sich darauf verständigt, dort wieder den Grand Prix auszurichten.
Diktaturen lieben den Sport. Die argentinische Junta war außer sich vor Freude, als sie die Fußballweltmeisterschaften 1978 austrug, Chinas KP benutzte die Olympiade 2008 zur weltweiten Selbstdarstellung, der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko freut sich wie ein Eiskönig, weil in seinem Land 2014 die Eishockey-Weltmeisterschaft stattfindet, und der Scheich aus Bahrain, ja, der Scheich wird Jean Todt gesagt haben: »Recht haben Sie! Sport ist Sport, und Sport muss Sport bleiben!«
Was wäre die richtige Antwort? Soll man überhaupt keine Sportveranstaltungen in Diktaturen abhalten? Wie immer in Fragen der Moral kann die Antwort nur konkret sein, von Fall zu Fall ist zu entscheiden. Im Falle Bahrains sollte die FIA verzichten – der Grund dafür ist ein moralischer, aber er ist auch ein politischer.
Dazu eine kleine Rückblende auf das vergangene Jahr. Mit einer Mischung aus Bewunderung und Staunen sahen wir, wie Millionen Araber sich ihrer Despoten entledigten, der Tunesier Ben Ali stürzte, der ägyptische Pharao Hosni Mubarak fiel, der irrlichternde Libyer Muammar al-Gaddafi fand den Tod.
Wir feierten diese große arabische Party der Freiheit mit, leicht zerknirscht, weil unsere Regierungen eben diese Despoten jahrzehntelang gestützt hatten, doch immerhin: Es war Frühling, Arabischer Frühling. Und der sollte nicht gestört werden, schon gar nicht durch unerfreuliche Ereignisse in dem kleinen Emirat Bahrain. Während die westlichen Regierungen sich schnell auf die Seite der rebellierenden arabischen Völker schlugen, ließ der Scheich sein für Freiheit und Menschenrechte demonstrierendes Volk mithilfe saudischer Truppen brutal unterdrücken. Im Westen schwieg man dazu. Dabei hatte es gerade noch geheißen, dass Repression nicht nur falsch, sondern auch dumm sei – sie bringe auf Dauer keine Stabilität. Das war die Lehre des Arabischen Frühlings.
Für Bahrain galt sie nicht. Denn Bahrain nimmt im Geflecht westlicher Machtinteressen im Nahen Osten einen besonderen Platz ein. Hier liegt das Hauptquartier der 5. Flotte der U. S. Navy, Bahrain ist ein enger Freund des westlichen Verbündeten Saudi-Arabien; die Mehrheit der Bahrainer sind Schiiten, weshalb sie verdächtigt werden, die Sache des schiitischen Irans zu befördern. Bahrain, das ist das schlagende Beispiel dafür, dass die kalte Realpolitik, derer sich der Westen eben noch selbst bezichtigte, die Richtlinie seiner Politik im Nahen Osten bleibt, Arabischer Frühling hin oder her.
Wenn die Formel-1-Funktionäre sich durchringen könnten, das Rennen abzusagen, hätten sie nicht nur den Scheich entblößt, sondern auch die Doppelmoral westlicher Politik. Das ist viel verlangt von Sportfunktionären, keine Frage. Aber es ist ja auch viel verlangt, dass man stundenlang Männern zusehen soll, wie sie mit brüllenden Autos über den Asphalt sausen, während nebenan gefoltert wird.
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