Die Bewegung Movimento 5 Stelle (M5S) von Beppe Grillo nimmt für sich in Anspruch, die einzige Kraft Italiens zu sein, die einen Wandel will. Das ist ihr gutes Recht. Verstörend bei Grillo sind seine Sprache, seine Arroganz und seine autoritären Neigungen. Nach Grillos Diktion sind alle anderen politischen Parteien nichts weiter als Angehörige eines morschen Systems, das zum Untergang verurteilt ist. Jeden Versuch der etablierten Parteien, Italien eine Regierung zu geben, verspottet Grillo.
Das ist ein schwerer Fehler. Wenn Grillo und seine Leute sich über die anderen Parteien lustig machen, dann verhöhnen sie die große Mehrheit der Wähler, die nicht für die M5S gestimmt hat. Angesichts der Propaganda Grillos muss man daran erinnern: Ein Viertel der Italiener, die wählen gegangen sind, haben für M5S gewählt — eine Mehrheit ist das bei Weitem nicht.
Doch Grillo und sein M5S führen sich auf, als seien sie die einzigen Repräsentanten des italienischen Wahlvolkes. Das sind keine rein propagandistischen Aussagen, sondern sie zeigen den ideologischen Kern Grillos. Er sieht sich als Inkarnation eines imaginierten Volkswillens. In ihm und durch ihn spricht das Volk mit einer Stimme. Darum sagt er auch, er wolle nicht „25, 30 oder 60 Prozent, sondern 100 Prozent“ der Stimmen. Grillo sieht sich als Mann, in dem sich der uniforme Volkswillen manifestiert. Der Führer als Agent des Volkes — das ist ein gefährliches ideologisches Konstrukt.
Es gibt den einen Volkswillen freilich in der Wirklichkeit nicht. Die italienische Gesellschaft besteht — wie jede andere moderne Gesellschaft auch – aus Individuen mit unterschiedlichen Interessen. Und diese Individuen wählen Parteien, darunter (immer noch) auch etablierte Parteien. Wenn Grillo den Willen der Wähler wirklich respektieren würde, dann müsste er tun, was zu den schwierigsten und wichtigsten Aufgaben des Politikers gehört: Kompromisse suchen.