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Giftgas ist keine Waffe unter vielen

 

100.000 Menschen sind im syrischen Bürgerkrieg ums Leben gekommen. Das hat zu keiner militärischen Intervention des Westens geführt. Jetzt sind rund 1.500 Menschen in Damaskus durch den Einsatz von Giftgas gestorben. Und plötzlich will Barack Obama eine Intervention. Sind denn 100.000 Tote nicht etwa entsetzlicher als die knapp 1.500 Opfer des Gases, wie David E. Sanger in der New York Times schreibt?

Diese Logik unterstellt, dass es egal ist, durch welche Waffe man ums Leben kommt. Das mag für die Toten gelten, aber nicht für die Lebenden. Das hat der amerikanische Präsident erfasst. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob Menschen durch Giftgas getötet werden oder durch konventionelle Waffen. Giftgas ist ein Massenvernichtungsmittel. Sicher, auch Bomben und Geschosse töten massenweise Menschen. Das geschieht gerade in Syrien. Doch sie sind nicht als Massenvernichtungsmittel konzipiert worden. Giftgas allerdings schon. Dieses Kampfmittel ist dazu entwickelt worden, alles Menschliche auszulöschen, egal ob es Soldaten oder Zivilisten sind. Es ist ein Instrument des Terrors. Der Einsatz von Giftgas ist aus gutem Grunde durch eine Reihe von internationalen Abkommen verboten.

Chemische Kampfstoffe haben nicht nur eine verheerende Wirkung, sie sind auch relativ einfach herzustellen. Die japanische Sekte Ōmu-Shinrikyō etwa verübte 1995 in der Tokioter U-Bahn ein Attentat mit Senfgas. Dabei kamen 13 Menschen ums Leben, Tausende wurden verletzt. Ōmu-Shinrikyō hatte das Gift vermutlich selbst zusammengebraut. Fast alle Staaten der Welt haben das Abkommen zum Verbot chemischer Kampfstoffe unterschrieben, weil sie auch die Sorge haben, die Verbreitung dieser Waffen nicht anders kontrollieren zu können.

Vor allem aber verletzt der Einsatz von Giftgas einen symbolischen Raum. Wer es in welchem Konflikt auch immer gebraucht, behandelt Menschen wie Ungeziefer. Wer es einsetzt, hat den Gipfel der Unmenschlichkeit erreicht.

Wie man darauf reagiert, darüber wird gerade diskutiert. Und es ist gut und richtig, dass sich Obama dafür Zeit genommen und den Kongress in die Entscheidung mit einbezogen hat. Doch man kann nicht so tun, als sei Giftgas eine Waffe unter vielen. Wer das behauptet, der muss die Sache zu Ende buchstabieren: Der muss sagen, dass wir künftig in einer Welt leben werden, in der man Chemiewaffen ungestraft einsetzen kann.