Nicht weit von der malerischen bosnisch-herzegowinischen Stadt Trebinje entfernt, ist unlängst die italienische Schauspielerin Monica Bellucci in die kalten Fluten des Flusses Trebišnjica getaucht. Das erzählt man sich hier. Es soll sogar Einheimische geben, die beobachtet haben wollen, wie Bellucci bibbernd aus dem Wasser stieg und sogleich von herbeieilenden, eifrigen Helfern in ein großes Badehandtuch eingehüllt wurde. Überwacht wurde das ganze von dem weltbekannten bosnischen Regisseur Emir Kusturica, der seit 2005 auf den serbischen Vornamen Nemjana hört, weil er zum orthodoxen Glauben übergetreten ist und sich taufen ließ. Er dreht mit Bellucci einen Film. Es handelt sich um eine Liebesgeschichte, die im Krieg spielt. Liebe und Frieden soll der Streifen heißen.
Noch in vielen Jahren wird man die Augenzeugen dieser außergewöhnlichen Szene mit einem maliziösen Lächeln fragen: „Du hast doch gesehen, wie damals die wundervolle Monica Bellucci in den Trebišnjica sprang? Erzähl, wie war das? Erzähl schon!“
Wer dabei war, wird dann die dürre Geschichte der berühmten Schauspielerin, die in den kalten Fluss sprang, solange detailreich und farbig ausschmücken, bis sie sich zu einer prachtvollen Legende auswächst, die der kleinen Stadt Trebinje eine Bedeutung geben wird, die sie in Wirklichkeit nicht hat.
Es ist eine Eigenart dieses Landes, dass kleinere Ereignisse im Handumdrehen wichtig werden, vormals unbekannte Städtchen über Nacht traurige Berühmtheit erlangten, dass Provinzpolitiker, die nichts zählten, mit einem Mal buchstäblich über das Leben Zehntausender Menschen entscheiden konnten, dass schlechte Poeten, die keiner wahrnahm, auf der Bühne erschienen und mit ihren grausamen Taten das Publikum erschreckten; dass Taxifahrer zu gefürchteten Folterknechten wurden und Konditoren zu mächtigen Kriegsherren. Diese vielen fürchterlichen Häutungen, diese katastrophalen Verwandlungen fanden in den neunziger Jahren statt, den Jahren des bosnischen Krieges.
Nach dem erzwungen Frieden von Dayton im Jahr 1995 ist Bosnien wie betäubt von den eigenen Verbrechen und den Versäumnissen der anderen in einen tiefen Schlummer gefallen. Doch der Wunsch nach Bedeutung ist in Städten wie in dem unscheinbaren Trebinje durchaus noch spürbar.
Der im Trebišnjica badende italienische Filmstar und sein bosnischer Regisseur sind schon Teil der Stadtgeschichte geworden, obwohl das Ereignis sich gerade erst zugetragen hat. Aber so ist das nunmal, wenn die Menschen die Sehnsucht umtreibt, aus dem Schatten ihre Kleinstadtexistenz auszubrechen. Sie nehmen, was sie können.
Dabei hat Trebinje durchaus einiges zu bieten. Die Stadt liegt am südöstlichen Zipfel Bosnien-Herzegowinas, nur dreißig Kilometer von der dalmatinischen Küste und seiner prächtigen Königin, der Stadt Dubrovnik, entfernt, umgeben von kargen Bergen. Die Milde des Mittelmeers geht hier mit der Härte der herzegowinischen Berglandschaft eine glückliche Verbindung ein. Im Tal, das sich von Trebinje aus Richtung Mostar zieht, wächst Tabak und Wein. Und ja, der eine oder andere Karl-May-Film ist hier in den sechziger Jahren des vergangen Jahrhunderts gedreht worden. In Prospekten für Touristen findet sich für solche Gegenden üblicherweise das Wort: wildromantisch.
Während des bosnischen Krieges wurde Trebinje zeitweise die Hauptstadt des serbischen Teils der Herzegowina, die wiederum zeitweise zwischen Kroaten und Muslimen umkämpft war, was dazu führte, dass sich die Serben und die Kroaten gegen die Muslime …
Hier sollte man einen Punkt machen, denn kaum ein Leser wird bereit sein, sich an dieser Stelle in die verwirrenden Komplexität des 20 Jahre zurückliegenden Bosnienkrieges einzulassen.
Was Trebinje betrifft, muss man sich vorerst merken, dass sie im Laufe des Krieges zu einer im wesentlichen serbischen Stadt wurde, auch wenn zwei der zehn in den neunziger Jahren zerstörten Moscheen wiederaufgebaut wurden. Doch um diese Moscheen ist es heute still und leer, sie wirken verwaist wie die wieder errichteten Kulissen eines abgestorbenen Lebens. Tausende muslimische Bosniaken sind in den Neunzigern hier vertrieben worden, Tausende serbische Vertriebene habe sich an ihrer Stelle in der Stadt niedergelassen. Trebinje ist heute Teil der Republik Srpska, des serbischen Teils von Bosnien-Herzegowina. Diese Stadt ist also in ihrer heutigen Form, wie fast alles in diesem Land, ein Produkt des mörderischen Krieges.
Auch wenn es Denkmäler gibt, die an diesen Krieg erinnern, so scheint er weit weg zu sein wie ein Gespenst, das nurmehr in der Erinnerung auftaucht. Alles hier ist geordnet, sauber und schmuck. Die Stadtmauer um den winzigen alten Stadtkern ist intakt, auf dem großen Hauptplatz sitzen die Menschen in Cafés unter riesigen Pappeln, deren dichte Blätterkronen alles, was hier geschieht, in ein sanftes Rauschen einhüllen.
Wenn dann auf diesem Platz noch die Namen Bellucci und Kusturica fallen, wenn man sich sagen wird: „Hast du gehört: Die Bellucci ist in die Trebišnjica gesprungen?“, dann wird die Gäste das Gefühl umwehen, dass sie nicht in Trebinje sitzen, einer kleinen bosnischen Stadt, sondern in Paris oder London oder Rom.