Zwischen dem Trebinje und Goražde in der südöstlichen Ecke Bosniens gibt es viele Häuser mit unverputzten Ziegeln. Sie stehen am Straßenrand, krallen sich an Berghängen fest, kauern in den Tälern und blinken in den Feldern. Zwischen Goražde, Višegrad und Tuzla und besonders zwischen Tuzla und Banja Luka stehen sie herum, einzeln und in Gruppen, winzig klein und riesig groß sind sie, hoch und niedrig, breit und schmal. Mit nie nachlassender Aufdringlichkeit halten sie dem Vorbeifahrenden ihr nacktes, rotes Gesicht entgegen. Bosnien-Herzegowina ist ein wunderschönes Land, doch seine unverputzten Häuser sind eine Obszönität.
Das muss man beklagen.
Doch es ist ja nicht so, dass die Häuslebauer ihre Häuser mit Absicht in diesem rohen Zustand lassen. Sie möchten gewiss auch ein sauber verputztes Haus haben, vielleicht mit fröhlichen Farben gestrichen. Es ist ihnen nur nicht gelungen, ihr Unterfangen zu Ende zu bringen. Was sie vorhatten, ist ja nichts Geringes. Sie wollten einen Ort, an dem sie sich wohlfühlen und ihnen niemand reinreden kann. Sie wollten frei sein. Eine seltsame, ummauerte Freiheit ist das. Doch viele Hausherren haben ihr Leben am Fließband einer deutschen Fabrik verbracht, oder in einer Frankfurter Putzkolonne, oder in der Küche eines Hamburger Restaurants. Die Menschen, die hier in Bosnien solche unverputzten Häuser bauen, kennen noch viele schlimmere Formen der Entfremdung als die in einem hässlichen, unfertigen Haus zu wohnen.
Wie viel Arbeit, wie viel Schweiß und Mühe sind in diese Häuser geflossen, wie viel Hoffnung. Denn es ist sicher so, dass die ehemaligen Gastarbeiter, die das bauten, dachten, sie würden irgendwann in ihre Heimat zurückkehren, zur Stätte ihrer Kindheit. Vielleicht für immer, vielleicht für ein paar Monate. Und die Häuser sind sicher auch errichtet worden, damit die Kinder und Kindeskinder etwas davon haben, jene also, die in Frankfurt, in Berlin oder in Hamburg geboren wurden. Sie sollten nach Bosnien kommen, um das schöne Land zu genießen und, umgeben von ihren Großeltern, den Urlaub verbringen, im Garten unter einem Pflaumenbaum. Und gewiss sollten auch die Nachbarn beeindruckt werden. Man wollte ihnen zeigen, dass man es zu was gebracht hatte im fernen, oft kalten, abweisenden Ausland. Dass es sich also gelohnt hat, in den Fabriken des Nordens durchzuhalten. So sahen die Vorstellungen aus, so harmlos, so banal und so von Sehnsucht getragen.
Doch sie wollten nicht Wirklichkeit werden. Es kam der Krieg, und die einen flüchteten dahin und die anderen dorthin, und viele kamen um.
Als das jahrelange blutige Durcheinander zu Ende war, konnten sehr viele Menschen nicht mehr an dem Platz zurück, den sie für sich erträumt hatten. Die Welt, in der sie aufgewachsen waren, war zerbrochen, und die Zukunft, für die sie gerackert und gespart haben, ist ihnen entglitten.
Was bis heute blieb, ist ein Land voller nackter, roter Ziegel.