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Keine Versöhnung am Massengrab

 

Es ist 20 Jahre her, dass serbische Milizen die kleine bosnische Stadt Srebrenica eroberten und danach binnen weniger Tage mehr als 8.000 muslimische Männer und Jungen ermordeten. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat diesen Massenmord als Völkermord bezeichnet – ohne jeden Zweifel war es das.

Kann Srebrenica zu einem Ort der Versöhnung zwischen Serben und Bosniaken werden?

In den Tagen vor der Gedenkfeier an diesem Samstag erwartete man in Bosnien mit Spannung eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrates zu dem Massaker von Srebrenica. Die Briten hatten eine Resolution eingebracht, wonach dieser Massenmord vom Sicherheitsrat als Genozid bezeichnet werden sollte. Die Resolution scheiterte am Mittwoch dieser Woche am Veto Russlands. Der russische UN-Botschafter bezeichnete die britische Initiative als zu „konfrontativ, nicht konstruktiv, und politisch motiviert“. Das war zu erwarten. Russland will aus geopolitischen Gründen auf dem Balkan Einfluss behalten. Die Serben sind das Mittel dazu, und die weigern sich bis heute, das von ihnen verübte Verbrechen als Völkermord anzuerkennen.

In Bosnien löste das Scheitern der Resolution große Enttäuschung aus. Schließlich empfindet man hier, dass das Leid der bosnischen Muslime nicht die gebührende Anerkennung vor dem höchsten Gremium der Völkergemeinschaft bekommt.

Die Bosniaken fürchten, dass Srebrenica vergessen wird. Doch diese Sorge scheint unbegründet. Bei der Gedenkfeier am Samstag werden über 50.000 Menschen erwartet, 700 Journalisten sind akkreditiert, höchste politische Prominenz kommt dutzendweise. 5.000 Menschen sind drei Tage lang die rund 100 Kilometer von der Stadt Tuzla nach Srebrenica gewandert. Das ist die Strecke, welche die Überlebenden von Srebrenica zurückgelegt haben, in umgekehrter Richtung. Dieser „Marsch des Todes – Wege der Freiheit“ war eine eindrucksvolle Demonstration. Das Massaker, das schlimmste Kriegsverbrechen auf dem Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg, ist tief eingesunken in das kollektive Gedächtnis Europas, als Beispiel für sein schuldhaftes Versagen. Und Srebrenica ist zu einem Symbol für das Leid der bosnischen Muslime geworden. Nein, Srebrenica wird auch in Zukunft nicht vergessen werden.

Es gibt die verständliche Sorge der Angehörigen der Opfer und der Überlebenden, dass die Täter davonkommen. Und es ist durchaus möglich, dass nicht alle Verantwortlichen vor Gericht verurteilt werden. Doch das Internationale Strafgericht in Den Haag hat im Zusammenhang mit Srebrenica inzwischen 28 Männer verurteilt, davon drei wegen Völkermords. Im Herbst werden aller Wahrscheinlichkeit nach die Urteile gegen Radovan Karadžić und Ratko Mladić fallen. Der politische und der militärische Führer der bosnischen Serben gelten als die Hauptverantwortlichen des Völkermordes. Die juristische Aufarbeitung Srebrenicas kommt also voran, zu langsam, auch mit Fehlern behaftet, aber es geht voran.

Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, ob es für die Versöhnung wirklich nützlich ist, wenn das Wort Genozid die politische Debatte in Bosnien dominiert, wie es in diesen Tagen der Fall ist.

Genozid ist in unserer heutigen Zeit gleichbedeutend mit dem absolut Bösen. Viele Menschen in Bosnien wünschen, dass sich die Serben zum Völkermord in Srebrenica bekennen. Das werden sie nicht tun, weil das moralische Gewicht dieses Vorwurfes für das serbische Volk vernichtend ist. Srebrenica ist deshalb nicht der Ort, an dem Versöhnung beginnen kann. Sie wird am Ende eines langen Prozesses stehen.

Noch vor wenigen Jahren leugneten die Serben die Verbrechen von Srebrenica komplett. Auf serbischer Seite gibt es inzwischen das Eingeständnis, dass es in Srebrenica Verbrechen gegeben hat. Das Wort Genozid wird aber immer noch tunlichst vermieden. Der serbische Premierminister Aleksandar Vučić will am Samstag an der Gedenkfeier in Srebrenica teilnehmen. Das sind Schritte in die richtige Richtung. In den Augen der Opfer aber ist jeder Schritt zu klein. Das ist mehr als verständlich.