Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Eine absurde Afghanistandebatte

 

Die Taliban erobern Kundus, und in Deutschland debattiert man über eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes über 2016 hinaus. Das ist völlig absurd.

Der Westen hat 14 Jahre lang versucht, Afghanistan in den Griff zu bekommen. Hunderte westliche Soldaten sind gestorben, Zehntausende Afghanen haben ihr Leben gelassen, und viele, viele Milliarden sind Richtung Kabul geflossen. Und heute müssen wir darüber reden, ob die „Taliban das Land überrennen“!

Kann man da wirklich glauben, dass die Bundeswehr und ihre Verbündeten die Lage stabilisieren könnten, wenn sie länger als 2016 blieben? Nein, kann man nicht.

Es wäre eine Katastrophe, wenn die Taliban Afghanistan wieder unter Kontrolle bekämen, zuallererst für die Afghanen, vielleicht auch für uns.

Doch, erstens, ist das alles andere als sicher. Frieden wird es in Afghanistan nicht geben, aber es ist für die Taliban ein sehr weiter Weg nach Kabul. Und, zweitens, wird ein verstärktes Engagement einen größeren Vormarsch der Taliban nicht stoppen können. Im Gegenteil. Es gibt viele Gründe anzunehmen, dass die massive Präsenz des Westens die Taliban erst gestärkt hat.

Mit „Präsenz“ sind nicht nur Soldaten gemeint, sondern vor allem finanzielle Mittel. Afghanistan wurde nach 2001 förmlich mit Geld zugeschüttet. Ja, viel davon kam wieder in den Westen zurück, weil westliche Firmen sich lukrative „Aufbauaufträge“ sicherten. Doch für die afghanische Elite blieb immer noch mehr als genug für ein großes Festessen übrig, das jahrelang andauerte.

Nach 2001 konnten sich die Politiker Afghanistans – viele von ihnen Kriegsherren – die Bäuche so richtig vollschlagen. Korruption, Nepotismus und Unfähigkeit grassierten. Das afghanische Volk musste zusehen, wie sich einige wenige bereicherten, während sie immer tiefer in Armut versanken. Niemand stoppte das große Fressen, schon gar nicht der Westen. Ob er nicht wollte, nicht konnte, oder einfach unfähig war, das müsste Gegenstand einer tieferen Erforschung sein. Tatsache ist, dass sich in der Führungsschicht des Landes eine Verkommenheit breitmachte, unter den Augen und mit Wissen des Westens. Es gibt (fast) nichts Schlimmes, das nicht bekannt war.

Weil der Staat diskreditiert ist, sind die Taliban zurück.

Es wird jetzt auch wieder das alte Argument ins Feld geführt, dass man die Afghanen nicht allein lassen dürfe, man habe für sie Verantwortung übernommen. Mal abgesehen von dem paternalistischen Habitus der in dieser Aussage steckt, darf man nach 14 Jahren Einsatz die Frage auch mal umdrehen. Wie steht es mit der Verantwortung – nicht des afghanischen Volkes, aber seiner Elite – gegenüber dem Westen? Zum Beispiel kann man von dieser Elite verlangen, dass sie in Kundus Polizisten nicht ungestraft rauben, erpressen und vergewaltigen lässt. Nach mehreren glaubwürdigen Berichten ist das nämlich dort der Fall.

Es ist Zeit zu debattieren, aber nicht über einen verlängerten Bundeswehreinsatz, sondern über die Verantwortung der afghanischen Politiker.