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Europas neuer Frontstaat

 

Die Mazedonier hätten es sich wohl nie träumen lassen, dass ihr Land eines Tages die Außengrenze der Europäischen Union bilden wird. Doch genau das scheint in diesen Tagen zu geschehen. Die EU droht damit, Griechenland aus dem Schengen-Verbund auszuschließen, weil es angeblich seinen Pflichten bei der Grenzkontrolle nicht nachkommt. Die nächste Grenze Richtung Norden ist die mazedonische. Hunderttausende haben sie seit Sommer 2015 überquert. Bisher relativ ungehindert. Doch auf Druck der EU macht das Nicht–EU-Mitglied Mazedonien den Grenzübertritt für Migranten immer schwerer.

Was ist das eigentlich für ein Staat, der hier zu einer Art unfreiwilligem Bollwerk der EU gegen die Migration werden soll?

Rund 25 Prozent der Bevölkerung Mazedoniens sind Albaner, die große Mehrheit sind slawische Mazedonier. Im Jahr 2001 kam es zwischen den beiden Gruppen zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Das Land stand vor dem Zerfall. Die Nato und die EU zwangen die Parteien schließlich an den Verhandlungstisch, wo das sogenannte Ohrid-Abkommen unterzeichnet wurde. Es sieht im Kern vor, dass die albanische Minderheit mehr Rechte bekommt. Staatsstellen werden etwa nach einem ausgeklügelten Proporz vergeben.

Das Ohrid-Abkommen hat einen akuten Konflikt beendet, aber es hat auch dazu geführt, dass der Staat unter den Volksgruppen aufgeteilt und gleichzeitig aufgebläht wurde. Der Staatsapparat hat heute 192.000 Angestellte, bei einer Bevölkerung von etwas mehr als zwei Millionen Menschen ist er der weitaus größte Arbeitgeber. Die Mazedonier sind Klienten der jeweils herrschenden Parteien, abhängig von ihren Zuwendungen. Und die Parteien sind ethnisch organisiert.

Zurzeit wird Mazedonien von Nikola Gruevski und seiner nationalistischen Partei VMRO-DPMNE regiert. Als Koalitionspartner hat Gruevski eine albanische Partei. Unter seiner Herrschaft grassiert die Korruption. Gruevski wird von vielen Mazedoniern als Autokrat gesehen, dem es nur um die Befriedigung der Bedürfnisse seiner Clique geht. Im Frühjahr 2015 formierte sich eine breite Protestfront gegen ihn. Zehntausende Menschen gingen auf die Straße und verlangten den Rücktritt Gruevskis. Damals sprach man von einer Art „Klein-Maidan“, also von einer kleineren Kopie der ukrainischen Revolution. Doch Gruevski blieb an der Macht. Er musste allerdings auf Druck von Brüssel seine Regierung umbilden, und sogenannte Techniker aufnehmen. Gleichzeitig wurde eine unabhängige Untersuchungsbehörde eingesetzt, die den massiven Korruptionsvorwürfen nachgehen soll. Schließlich „erzwang“ die EU vorgezogene Wahlen. Sie werden am 24. April stattfinden.

Das alles zeigt, wie fragil Mazedonien ist. Es ist im Augenblick noch schwer auszumachen, wie sich die neue Rolle dieses kleinen Landes als Bollwerk der EU auf die innenpolitische Lage auswirken wird. Wahrscheinlich ist aber, dass sich der höchst umstrittene Nikola Gruevski an der Macht konsolidieren kann. Die EU nämlich setzt erfahrungsgemäß besonders in unruhigen Zeiten auf Stabilität – sie will vor allem Ruhe, und da ist es ihr ziemlich egal, von wem sie kommt. Für die Mehrheit der Mazedonier bedeutet das nichts Gutes. Denn die verfilzten Machtstrukturen, die nur wenigen offen stehen, bleiben erhalten.