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Vernunft und Panik

 

Die Balkanroute schließen und am Brenner notfalls Soldaten aufmarschieren lassen. Österreichs Regierung zeigte in den vergangenen Wochen und Monaten Härte. Das tat sie halb aus Vernunft, halb aus Panik vor der rechtspopulistischen FPÖ.

Bleiben wir einen Augenblick bei der Vernunft.

Die österreichische Regierung hat die Grenze nach einer mehrere Monate dauernden unkontrollierten Öffnung wieder unter Kontrolle bringen wollen. Das ist nachvollziehbar. Die Regierung „ließ“ die Grenze dort schließen, wo es ihr realistisch und nützlich schien: in Mazedonien. Dafür gewann sie die Zustimmung der Westbalkanstaaten bei einem im Februar einberufenen Gipfel. Griechenland wurde dazu erst gar nicht eingeladen. Dagegen gab es viel Protest. Aber Österreichs Regierung war gewiss nicht die einzig europäische Regierung, die im Sommer 2015 allzu viel Vertrauen in Griechenlands Möglichkeiten und Willen hatte.

Die Kritik an Österreichs Alleingang wandelte sich alsbald in Lob. Erst die Schließung der Balkanroute hat der deutschen Kanzlerin Angela Merkel die Luft verschafft, die sie brauchte, um in der EU für ein Abkommen mit der Türkei zu werben und es schließlich auch durchzusetzen.

Erst die Schließung der Balkanroute hat deutlich gemacht, in welcher Gefahr Griechenland war, zerrieben zwischen Wirtschafts-, Euro- und Flüchtlingskrise. Die Aussicht auf einen failed state Griechenland hat die konkrete europäische Hilfe für dieses Land mobilisiert.

So weit also könnte man dem Handeln der österreichischen Regierung Vernunft unterstellen, eine kalte Vernunft.

Den bitteren Preis dafür bezahlten die Tausenden Flüchtlinge und Migranten, die am mazedonischen Grenzzaun von Idomeni strandeten.

Doch das zweite Motiv für diese Härte war die Angst vor der FPÖ. Sie zeigte sich deutlich, als die österreichische Regierung drohte, notfalls Soldaten an den Brennerpass zu entsenden. Im Grunde verfuhr sie nach dem Muster von Mazedonien, weil sie sich davon wohl einen ähnlichen Erfolg erhoffte.

Doch zwischen Idomeni und Brennerpass besteht eine wesentlicher Unterschied – und den hat die österreichische Regierung in ihrer wachsenden Panik übersehen.

Zunächst einmal baute die Regierung eine Drohkulisse gegenüber Italien zu einem Zeitpunkt auf, wo noch keine Tausenden Flüchtlinge über Italien nach Österreich unterwegs waren. Natürlich, das sollte auch eine Botschaft der Abschreckung sein. Aber Wien drohte nicht nur, sondern es machte unmissverständlich klar, dass man Italien nicht traute.

„Kooperation mit euch hat keinen Sinne. Wir werden selber schauen, wo wir bleiben!“ Das war die Botschaft an Rom.

Österreich behandelt Italien so, als sei es Griechenland.

Doch Italien ist nicht Griechenland.

Italien ist eine Gründungsmitglied der EU, es ist die drittstärkste Wirtschaftsmacht der Union, es hat neunmal so viel Einwohner wie Österreich, und – das ist das Wichtigste – es hat mit Österreich eine lange Konfliktgeschichte, die über das ganze 19. Jahrhundert bis tief in das 20. hineinreichte. Das Arsenal der Vorurteile und Ressentiments ist in beiden Staaten gut gefüllt.

Dazu kommt, dass in Rom eine Regierung sitzt, die durchaus versucht, der wahrscheinlich bevorstehenden Massenwanderung aus Libyen auf eine vernünftige, menschlich vertretbare Weise zu begegnen. Ministerpräsident Matteo Renzi will eine europäische Lösung herbeiführen. Österreichs Regierung antwortete mit Kampfrhetorik. Aus Wien rief sie über den Brenner: „An Europa glauben wir nicht!“

Ausgerechnet am Brenner, der wie kaum eine andere Grenze Europas für den Erfolg europäischer Integration steht. Das ist auch der wesentliche Unterschied zu Idomeni: Der Brenner ist eine zentrale Grenze Europas, die mazedonische-griechische ist es nicht.

Man kann es auch anders sagen: In Mazedonien handelte Österreich hart und im Interesse Europas, im Brenner verstößt es gegen das Interesse und den Geist Europas.

Am Brenner begann Österreichs Regierung so zu sprechen wie der ungarische Ministerpräsident und Feind der EU Viktor Orbán.

Zu der Orbanisierung Österreichs gehört auch eine geplante Reform des Asylrechts, die nach Meinung vieler Experten einer Abschaffung dieses Rechts gleichkommt und gegen geltendes EU-Recht verstößt.

Den Aufstieg der rechtspopulistischen FPÖ hat all diese Härte nicht bremsen können.

Der Kandidat der FPÖ, Norbert Hofer, hat am Sonntag die erste Runde in der österreichischen Bundespräsidentenwahl mit mehr als 37 Prozent gewonnen. Die Kandidaten der Regierungsparteien ÖVP und SPÖ sind beide krachend durchgefallen.