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Österreichs Mitte löst sich auf

 

Österreich hat 2015 hat binnen weniger Monate 90.000 Asylbewerber aufgenommen und kümmert sich um diese Menschen, vielleicht nicht auf vorbildliche Weise, aber doch viel besser, als es viele andere europäische Staaten tun – etwa Italien oder Frankreich, von den osteuropäischen Ländern müssen wir erst gar nicht reden. Das Österreich der Willkommenskultur gibt es also. Nun hat das Parlament Österreichs ein neues Asylgesetz verabschiedet, das de facto dessen Abschaffung gleichkommt. Die Regierung Österreichs ist drauf und dran, einen Zaun am Brenner zu errichten. Soldaten und Panzer sollen auch schon in Bereitschaft stehen. Das ist das Österreich der Angstkultur. Auch das ist eine Realität.

Wie passen Angst- und Willkommenskultur zusammen?

Sie passen überhaupt nicht zusammen.

Darum ist Österreich tief gespalten. Das spiegelt sich im Präsidentenwahlkampf wider, in dem sich der Kandidat der FPÖ, Norbert Hofer, und einer der Grünen, Alexander van der Bellen, in der Stichwahl am 22. Mai gegenüberstehen.

Österreichs politische Mitte löst sich unter dem Druck der Migrationskrise auf. Die Flüchtlinge sind nicht die Ursache dafür. Aber die hohe Zahl an Flüchtlingen hat den Österreichern offenbart, dass hinter der Fassade der beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP nichts als gähnende Leere herrscht – ein Abgrund der Ideen-, Willens- und Gestaltungslosigkeit. Diese Leere macht den Österreichern Angst.

Die rechtspopulistische FPÖ stößt in diese Leere vor, besetzt sie forsch mit ihren Parolen und baut an einem neuen, autoritären Österreich. Die von den Sozialdemokraten geführte große Koalition wehrt sich dagegen nicht, sondern versucht, den Wettkampf zu gewinnen: Wir können noch härter sein als die FPÖ! Das ist die Botschaft, die die Regierungsparteien mit ihrem Asylgesetz und ihrer Drohung, den Brenner zu schließen, vermitteln wollen.

Im Kern geht es in Österreich um die Frage, die alle europäischen Länder umtreibt: Wie können wir die Flüchtlings- und Migrantenzahlen verringern? Wie kann man die Migrationskrise auf eine vertretbare Weise in die Griff bekommen? Wie können wir unsere Grenzen kontrollieren?

Österreichs Problem, das ist das Problem Europas. Doch Österreich gibt in den letzten Monaten immer härtere, extremistischere Antworten. Eine politische Mitte, die eine ebenso pragmatische und wirkungsvolle Politik formulieren könnte, fehlt. Das ist das Drama, das sich in diesen Tagen vor unseren Augen entfaltet.