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Matteo Renzi in der Personalisierungsfalle

 

Der italienische Premierminister Matteo Renzi bringt Dinge gerne auf den Punkt, auf seinen Punkt.

„Das ist unsere Gelegenheit, eine andere wird nicht kommen!“, sagte er Anfang der Woche, als er das Datum für das Referendum über die Verfassungsreform bekannt gab.

Am 4. Dezember werden die Italiener über Renzis wichtigstes Projekt abstimmen, das den italienischen Politikbetrieb erheblich verschlanken und beschleunigen soll.

Nimmt eine Mehrheit der Wähler die Reform an, wird Italien einer lichten Zukunft entgegengehen; fällt sie durch, dann drohen dem Land düstere Zeiten.

Das ist Renzis Lesart. Entweder – oder: Das ist typisch für ihn.

Renzi spitzt zu, vereinfacht – und er personalisiert.

Diese Form der Kommunikation gepaart mit einer gehörigen Portion Rücksichtslosigkeit hat seine rasante Karriere erst möglich gemacht. Der Bürgermeister von Florenz wurde im Februar 2013 Premierminister Italiens – so schnell war noch kein italienischer Politiker so hoch gestiegen und kein Premier vor ihm war so jung. 39 Jahre alt war Renzi bei Amtsantritt.

Doch einen Makel hat Renzi: Er wurde nicht durch allgemeine Wahlen zum Premier.

Im Dezember 2013 wurde er Parteivorsitzender der Regierungspartei Partito Democratico (PD), im Februar 2014 drängte er seinen Parteikollegen Enrico Letta aus dem Amt des Premiers.

Renzi, der nie müde wird, die Parteien zu kritisieren und sich als Mann des Volkes inszeniert, kam als Mann der Partei an die Macht.

Das ist seine offene Flanke, das ist sein Legitimationsdefizit.

Das Referendum über die Verfassung sollte es beheben. Renzi hat sein politisches Schicksal deshalb mit dem Ausgang der Abstimmung verknüpft.

Wenn die Italiener – so Renzis Kalkül – dieser zentralen Reform zustimmen, dann ist das als Zustimmung zu seiner gesamten Politik zu werten.

Das Referendum als Plebiszit

Als er diese Entscheidung im Frühjahr 2015 traf, hatte seine PD bei den Europawahlen 40 Prozent der Stimmen gewonnen. Renzis Zustimmungsraten lagen bei 50 Prozent. Er fühlte sich sicher, zu sicher.

Inzwischen ist Renzis Popularität gesunken und mit ihr sinken auch die Aussichten, dass seine Reform durchgeht. Aktuelle Umfragen sagen für den 4. Dezember eine sehr knappes Ergebnis voraus.

Renzi hat den Fehler eingestanden. Es sei falsch gewesen, sein politisches Schicksal mit dieser Abstimmung zu verbinden.

Mit anderen Worten: Wenn ich verliere, werde ich weiterregieren.

Für diesen Fall wird er ein ziemlich lahmer Regierungschef sein. Er wird nicht mehr die Kraft haben, weitere Reformen umzusetzen.

Da das Referendum zu einer Ersatzwahl stilisiert wurde, befindet sich das Land de facto in einem Dauerwahlkampf – und das seit Monaten. Denn Renzi ließ das Datum immer wieder hinausschieben, zuerst hieß es September, dann Oktober, dann November, jetzt Dezember.

Er spielte auf Zeit, in der Hoffnung, dass seine Popularitätswerte wieder anziehen. Doch auch dieses Kalkül ging nicht auf.

Die Wirtschaft stagniert, Enttäuschung macht sich breit, die Opposition erstarkt.

Während Renzi auf Zeit spielte, stimmte im Juni eine Mehrheit der Briten für den Brexit. Das hat die Dynamik der Abstimmung über die italienische Verfassungsreform völlig verändert.

Was eine zwar wichtige, aber doch innenitalienische Sache war, ist inzwischen zu einem für ganz Europa hochexplosiven Stoff geworden.

Es wirkt inzwischen so, als würden die Italiener am 4. Dezember über den Ausstieg Italiens aus der EU entscheiden, was nicht richtig ist, aber auch nicht ganz falsch.

Die EU wird nicht gleich zugrunde gehen, wenn Renzi die Abstimmung am 4. Dezember verliert – aber die EU geht in ihrer jetzigen Form zugrunde, wenn Italien nicht auf die Beine kommt.

Der 4. Dezember ist übrigens auch der Tag, an dem die Österreicher ihren neuen Präsidenten wählen.