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Zahlen alleine sagen nichts aus

 

Wer sich seiner Sache nicht ganz sicher ist, der zitiert gerne Statistiken. Denn Zahlen liefern einen festen Grund, auf dem man stehen kann. Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, machte bei der internationalen Afghanistan-Konferenz in Brüssel davon Gebrauch. Er sagte in seiner Eröffnungsrede: „2001 gingen in Afghanistan nur eine Million Kinder zur Schule, es waren fast ausschließlich Jungs. Heute besuchen neun Millionen Kinder eine Schule, davon sind 40 Prozent Mädchen.“ Federica Mogherini, Außenbeauftragte der EU, sagte in ihrem Statement: „2001 lag die Lebenserwartung der Afghanen bei 45 Jahren, heute liegt sie bei 62 Jahren, 2001 starb eins von vier Neugeborenen bei der Geburt, heute ist es – das ist immer noch zu viel – eins von zehn!“

Statistiken haben allerdings den Nachteil, dass man sie leicht mit anderen Statistiken konterkarieren kann. Zum Beispiel könnte man fragen, ob rund 60 Milliarden Dollar Hilfsgelder, die seit 2001 allein in den zivilen Bereich geflossen sind, in einer einigermaßen vernünftigen Relation zu den zitierten Erfolgszahlen stehen. Die Antwort wird wohl lauten: Eher nicht. Schon allein deshalb, weil viel von diesem Geld nicht in den Bau von Krankenhäusern, Schulen und Straßen geflossen, sondern in den Taschen einer korrupten Elite verschwunden ist.

Das war jedem Teilnehmer der Konferenz bewusst, auch Tusk und Mogherini wissen es. Sie sind ja keineswegs naiv. Das haben sie auch mit ihren Reden gezeigt, in denen sie Afghanistan richtigerweise als ein fragiles Staatsgebilde beschrieben, dessen Stabilisierung für die EU höchste Priorität hat. Die internationale Gemeinschaft muss sich in Afghanistan weiter engagieren – aus purem Eigeninteresse. Das ist die Einsicht, die in Brüssel von den allen geteilt wird.

Den Erfolg des Einsatzes allerdings sollte man nicht alleine in Zahlen messen – da bewegt man sich auf allzu dünnem Eis. Man muss Zahlen ergänzen, etwa mit so schwer messbaren Dingen wie dem Gefühl der Zugehörigkeit.

Die große Masse der Afghanen hat auch nach 15 Jahren Einsatz der internationalen Gemeinschaft nicht das Gefühl, sie könne die Zukunft ihres Landes mitbestimmen. Das ist einer der Gründe, warum die Taliban immer noch so stark sind. Ihre trügerische Botschaft ist: Wenn ihr euch für uns entscheidet, seid ihr beide los – die korrupte afghanische Elite und die ausländische Besatzungsmacht.

Auf diese Botschaft müssen die afghanische Regierung und ihre Unterstützer eine überzeugende Antwort finden.