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Es geht nicht nur um Ceta

 

Das Handelsabkommen der EU mit Kanada wird nun, da sich die belgischen Regionen geeinigt haben, doch zustande kommen. Später als geplant, aber immerhin.

War das ganze Schauspiel also das übliche Brüsseler Drama? Man verhandelt bis kurz vorm Abgrund und einigt sich dann doch. Die EU hat sich ja bisher immer noch durch alle Krisen durchverhandelt, auch dieses Mal scheint es gelungen. Ende gut, alles gut?

Das kann man so sehen, aber es wäre eine beschränkte Sichtweise.

Denn bei Ceta geht es längst nicht nur um den Inhalt eines Handelsabkommens, es geht darum, ob die EU in dem gegenwärtigen geopolitischen Umfeld handlungsfähig ist.

In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts hat die übliche EU-Durchwurschtelei noch gereicht. Die Union blieb auch in ihrem traditionell verkrachten Existenzmodus erfolgreich.

Doch spätestens seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine im Jahr 2014 musste die EU feststellen, dass sie als geopolitischer Akteur wahrgenommen wird.

Russlands Wladimir Putin jedenfalls sieht die EU nicht als den freundlichen Riesen, der nichts Böses will und allein durch seine immense Soft Power immer neue Mitglieder gewinnt.

Die EU ist in seinen Augen Konkurrent und Bedrohung zugleich. Sie macht ihm sein vermeintliches Einflussgebiet streitig und sie propagiert ein politisches Modell, das seiner Autokratie diametral entgegengesetzt ist.

Alles, was die EU schwächt, ist ihm willkommen, ob es Brexit ist oder das Schauspiel um Ceta.

Die EU als Bedrohung – diese Sichtweise Putins teilen zunehmend mehr Menschen innerhalb der EU, allerdings aus teilweise anderen Motiven.

Kommissionspräsident Jean Claude Juncker hatte durchaus recht, als er im vergangenen September bei seiner State-of-the-Union-Rede im Europäischen Parlament sagte, es gäbe „Kräfte, die die EU zerstören wollen“. Dabei blickte er nach rechts, wo Marine Le Pen saß, die Chefin des Front National.

Es ist Marine Le Pens erklärtes Ziel, das – wie sie es nennt – Völkergefängnis EU zu zerstören. In ihren Augen ist die EU eine existenzielle Bedrohung für die französische Nation. Entweder Frankreich oder die EU. Für Le Pen ist es ein Kampf ums Überleben. Sie ist damit nicht allein. In allen Mitgliedsländern der EU gewinnen antieuropäische, nationalistische Parteien an Kraft.

Zusätzlich nehmen mehr und mehr EU-Bürger die Union als antidemokratisches Projekt wahr. Die EU ist für sie eine existenzielle Bedrohung für die Demokratie, weil sie allein dem Markt und seinen Bedürfnissen diene. Als Agent der Globalisierung wolle sie demokratiefeindliche Marktgesetze von oben durchsetzen. Aus dieser Wahrnehmung heraus speist sich der heftige Widerstand gegen Ceta und TTIP.

Die EU also bedroht also je nach Sichtweise Autokratie, Nation und Demokratie gleichzeitig. Das ist ein einmalig.

Es führt zwangsläufig dazu, dass ihr Autokraten, Nationalisten und Radikaldemokraten ans Leder wollen. Das ist neu. Und das ist der Kontext, in dem das Drama um Ceta sich entfaltet.