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Keine Angst vor den Debatten

 

Manchmal scheint es so, als hätten die Deutschen vor sich selbst mehr Angst als vor dem nächsten Anschlag. Diesen Eindruck muss man gewinnen, wenn man liest, wie intensiv nach der Tat in Berlin vor der Polarisierung der Gesellschaft gewarnt wird. Nur jetzt keine Debatte über Asylpolitik, keine Debatte über den Islam, keine Debatte über Migration. Trauern, das darf man. Streiten aber nicht. Denn das könnte schlafenden Hunde wecken.

Nur: Die schlafenden Hunde sind längst wach.

Es reicht ein virtueller Rundgang durch die sozialen Medien. Da begegnet man dem anschwellenden Hass. Auch das bösartige Wort der AfD von „Merkels Toten“ gehört in diese Kategorie. Die Polarisierung ist längst da. Indem man sie reflexhaft zu bannen sucht, verschärft man sie nur.

Worüber also ist zu reden?

Anis Amri, den mutmaßlichen Attentäter von Berlin, hatten die Behörden im Visier. Sie hatten genügend Informationen. Trotzdem bleibt grundsätzlich richtig, was der bayerische Innenminister jetzt fordert: Wo es nötig ist, muss eine Identitätsprüfung der Flüchtlinge und Migranten nachgeholt werden. Die Deutschen müssen wissen, wer in ihr Land kommt.

Wer kein Recht hat, hier zu bleiben, muss abgeschoben werden, und das möglichst schnell. Das ist in vielen Fällen schwierig, wie ausgerechnet der Fall des mutmaßlichen Attentäters zeigt. Er sollte nach Tunesien abgeschoben werden, das ging aber unter anderem deshalb nicht, weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte und weil Tunesien lange bestritt, dass er tunesischer Staatsbürger sei.

Deutschland muss mit den Mitgliedsländern der Europäischen Union sein ganzes politisches Gewicht einsetzen, um Länder dazu zu bringen, ihre Bürger zurückzunehmen, wenn sie hier kein Anrecht auf Asyl haben. Grundsätzlich kann ein Gastland auch erwarten, dass die Menschen, die hier Schutz suchen, mit den Behörden kooperieren, so gut sie eben können.

Die Regierung Merkel hat in den vergangenen Monaten das Asylrecht verschärft. Das war angesichts der hohen Zahlen an Asylsuchenden in den vergangenen beiden Jahren richtig. Doch es wird falsch, wenn sie nicht gleichzeitig ein modernes Einwanderungsgesetz vorlegt.

Es braucht mehr legale Möglichkeiten nach Deutschland zu kommen, als es bisher gibt. Doch offenbar fürchtet sich die Regierung vor einem solchen Schritt, weil sie vermutet, die Deutschen würden allein schon bei der Erwähnung des Wortes „Einwanderung“ noch weiter rechts wählen.

Wenn man den Hasserfüllten nicht das Feld überlassen will, muss man über diese Dingen jetzt sprechen – ohne Scheuklappen, ohne Angst vor Polarisierung.

Diese Angst aber gibt es leider. Wer zum Beispiel Genaueres über Flüchtlinge und Migranten wissen will, wer zum Beispiel wissen möchte, was in den Moscheen Deutschlands gepredigt wird, dem wird schnell gesagt, man dürfe auf keinen Fall Flüchtlinge oder Muslime unter Generalverdacht stellen. Das ist absurd. Wenn die Behörden gegen deutsche Rechtsextreme ermitteln, würde man doch auch nicht sagen, dass man alle Deutschen unter Generalverdacht stellt.

Darum ein erster Vorschlag: Das Wort Generalverdacht sollte man schon jetzt als Unwort des Jahres 2017 ins Rennen schicken.