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Wildes Geschacher, warum auch nicht

 

Am Montag wäre dem belgischen Liberalen Guy Verhofstadt fast ein Coup gelungen. Er wollte die euroskeptische italienische Bewegung M5S in seine liberale Fraktion (Alde) holen. Die M5S des Komikers Beppe Grillo hatte sich dafür schon bereit erklärt, doch im letzten Moment machte Verhofstadt einen Rückzieher. Allzu groß war der Widerstand innerhalb seiner Fraktion gegen eine Aufnahme der Populisten der Fünf-Sterne-Bewegung.

Man wird nicht fehl gehen, wenn man Verhofstadt opportunistische Motive bei diesem Manöver unterstellt. Er kandidiert nämlich für das Amt des Parlamentspräsidenten, das nach dem Abgang von Martin Schulz freigeworden ist. Am 17. Januar wird gewählt. Die Hilfe der 17 EU-Abgeordneten der M5S hätte Verhofstadt gebrauchen können, denn er hat nur Außenseiterchancen.

Am Dienstag veröffentlichte der Fraktionsvorsitzende der Konservativen (EVP) im Europaparlament, Manfred Weber, eine Vereinbarung, die seine Fraktion im Jahr 2014 mit den sozialdemokratischen Fraktion (S&D) getroffen hat. „Sie stimmen überein, dass die S&D-Gruppe den Präsidenten des Europäischen Parlaments in der ersten Hälfte der Legislaturperiode bestimmt und die EVP in der zweiten Hälfte“, heißt es in dem kurzen Papier. Es trägt die Unterschriften von Martin Schulz und Manfred Weber.

Weber wollte mit der Veröffentlichung den Druck auf die Sozialdemokraten erhöhen. Er sagte: „Jene, die die Vereinbarung brechen, tragen die volle Verantwortung, sollten antieuropäische Kräfte Einfluss gewinnen!“

Die Sozialdemokraten aber verweigern sich. Es könne nicht sein, behaupten sie, dass drei Spitzenjobs der EU mit EVP-Politikern besetzt werden: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk – und eben der künftige Parlamentspräsident. Das sei zu dem Zeitpunkt, als die Vereinbarung geschlossen wurde, nicht absehbar gewesen. Darum halten die Sozialdemokraten an einem eigenen Kandidaten fest.

Es ist also im Europarlament dieser Tage ein wildes Geschacher im Gange. Ist das ein Beweis für die intensive Selbstbeschäftigung einer abgehobenen politischen Kaste? Ein Beleg für ihre Distanz zum europäischen Bürger? Alles in allem ein Graus also?

Das kann man so sehen, doch ist eine andere Lesart wohl zutreffender. Der Streit ist so heftig, weil es um etwas geht. Das Amt des Parlamentspräsidenten der EU ist heute wichtiger als je zuvor. Das ist unbestritten ein Verdienst von Martin Schulz, dem scheidenden Präsidenten.

Doch hat dieses Amt paradoxerweise auch mehr Gewicht bekommen, weil die EU in einer existenziellen Krise steckt. Dem Europarlament kommt darin eine entscheidende Rolle zu. Denn es kann helfen, eine der Ursachen für die Krise der EU zu beseitigen: das demokratische Defizit.

Es nicht unbedingt schön anzusehen, was das Europarlament derzeit bietet, aber es ist doch nicht mehr als das Ringen um Macht. Das darf und soll man von Parteien auch erwarten.

Die eigentlich wichtige Frage kommt ohnehin erst danach: Kann der neue Parlamentspräsident mit der Macht etwas anfangen? Kann er sie zum Wohl der europäischen Bürger einsetzen?