Kommende Woche reisen die Staats- und Regierungschefs nach Malta, das derzeit den EU-Ratssitz innehat. Das wird kein Routinegipfel werden, sondern einer, in dem die Europäische Union sich verabschieden wird von einem Selbstbild an dem sie hartnäckig festhält. Die Union will zwar „Weltmacht“ sein, aber dennoch anders bleiben als die anderen Mächte. Nicht so rücksichtslos wie die USA, nicht so kriegerisch wie Putins Russland, nicht so autoritär wie China. Die EU hatte immer etwas Lehrmeisterliches an sich. Sie wollte weicher, besser und dadurch erfolgreicher sein als die anderen.
Wie schwierig das ist, entdeckte die Union spätestens seit der großen Wanderung des Jahres 2015. Völlig überwältigt, zerrissen, ja geradezu verwirrt taumelte die EU durch dieses Jahr. Die Europäer entdeckten damals, dass es in der Welt, wie sie ist, sehr schwierig ist, besser zu sein als die anderen.
Ein Wall in Libyen?
In Malta, nur 350 Kilometer von der libyschen Küste entfernt, werden die 27 Staats- und Regierungschefs weitere Beschlüsse fassen, um die Festung Europa auszubauen. Denn auch wenn es so nicht gesagt wird, die Abschottung Europas ist beschlossene Sache. Es geht jetzt nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie.
Dabei konzentriert sich die EU auf Libyen. Über diesen zerfallenen Staat kamen allein im letzten Jahr rund 180.000 Migranten nach Europa. Die EU scheint fest entschlossen, die libysche Route für Migranten zu schließen. Inzwischen ist in Brüssel schon von einem Wall die Rede, den man in Libyen errichten müsse. Wie der aussehen solle, ob er funktionieren kann, das ist noch völlig unklar.
Die Union versucht auch auf anderen Ebenen, die Migration in geordnetere Bahnen zu leiten. Sie bemüht sich um ein einheitliches europäisches Asylsystem, sie will in den Herkunftsländern der Migranten investieren, um dort Perspektiven zu schaffen.
Die EU hat es eilig
Alle Beteiligten wissen aber, dass diese Maßnahmen – wenn überhaupt – nicht schnell wirken werden. Der Faktor Zeit aber ist für die Union von existenzieller Bedeutung.
Wenn sie nämlich den Migrationsdruck nicht schnell verringern kann, wenn sie die Grenzen nicht kontrollieren kann, dann wird ihre innere Legitimität weiter leiden. Dann wird das europäische Superwahljahr 2017 vielleicht wirklich zum Jahr der Populisten. Der Niederländer Geert Wilders spricht jetzt schon vom „patriotischen Frühling“ Europas. Die Französin Marine Le Pen sieht den Einsturz des „Völkergefängnisses EU“ schon kommen.
Die Europäische Union schottet sich aus existenzieller Not ab. Wenn sie es nicht tut, bricht sie in ihrem Inneren zusammen. Sie errichtet Wälle und Zäune, um Zeit zu gewinnen. Zeit, um zu beweisen, dass sie Migration beherrschen kann.
Das ist der durch die Realität erzwungene Abschied der EU von ihrer moralischen Überlegenheit. Das ist das Ende des Lehrmeisters.