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Vielleicht retten ja die Rumänen die EU

 

Der EU droht der Untergang. Wer bloß kann sie retten? Die Rumänen.

Das ist eine sehr gewagte Behauptung. Doch sie ermöglicht eine neue Perspektive. Für ein paar Minuten nur sollen die Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich, aus denen EU-Gegner siegreich hervorgehen könnten, vergessen sein. Das andauernde Starren in diesen Abgrund lähmt nur. Populisten suggerieren gerne, dass mit und in der EU alles schlechter wird. Es gehe abwärts. Permanent. So werden Ängste verstärkt. Sie sollen Stimmen bringen. Ängste machen aber auch blind. Blind für den Kampf der Rumänen zum Beispiel.

Seit mehr als zwei Wochen demonstrieren sie zu Hunderttausenden gegen eine Regierung, die gewissermaßen das Klauen legalisieren wollte. Die Kundgebungen sind voller EU-Flaggen. So wie zuletzt bei den Euromaidan-Protesten in der Ukraine Ende 2013.

Flaggen haben die Eigenschaft, dass sie Emotionen bündeln können. Menschen verbinden damit eine kollektive Erfahrung, eine gemeinsame Geschichte, eine geteilte Erinnerung. Das gilt besonders für Nationalflaggen. Im besten Fall erkennen die Bürger eines Landes etwas von sich darin wieder.

Die Flagge der EU ist im Vergleich zu den Nationalfahnen artifiziell und blutleer. Sie ist nur die Flagge eines Projektes. Wie ein bürokratisches Anhängsel steht sie neben den Flaggen der Mitgliedsstaaten der EU.  Sie kann schnell entsorgt werden. Die polnische nationalkonservative Ministerpräsidentin Beate Szydlo tritt bei ihren Pressekonferenzen demonstrativ ohne EU-Fahne an, ebenso hält es der ungarische Premier Viktor Orbán. Neben bekennenden Nationalisten hat die blaue Fahne Europas keinen Platz.

Selbst bekennende Europäer wie der Italiener Matteo Renzi entledigen sich der Flagge symbolisch, wenn es ihnen opportun erscheint. Als Renzi noch italienischer Premierminister war, sprach er lieber von der „Würde Italiens“.

Auf Rumäniens Straßen und Plätzen vollzieht sich in diesen Wochen allerdings eine wundersame Verwandlung – die EU-Flagge füllt sich mit Leben. Das Projekt wird lebendig.

Für diese Demonstranten ist sie kein steriles Projekt, keine diffuse Zukunftshoffnung. EU, das ist für diese Rumänen eine konkrete Erfahrung, Gegenwart. Sie wissen, dass sie ohne die EU ihren kleptokratischen Eliten ausgeliefert wären. Die EU hat die rechtsstaatlichen Instrumente geschaffen, mit denen nun mutige Staatsanwälte und Richter daran gehen können, Verbrechen zur verfolgen und zu bestrafen. Die Werkzeuge der Union und der Widerstandswille des rumänischen Volkes gegen Autoritarismus und Korruption sind eine glückliche Verbindung eingegangen.

Die EU ist für Hunderttausende Demonstranten die Kraft des Guten. Das mag in westeuropäischen Ohren sehr pathetisch klingen – aber in Rumänien hat dieser Satz eine ebenso unaufgeregte wie feste Glaubwürdigkeit.

Werden also die Rumänen die Union retten? Sie zeigen jedenfalls Tag für Tag, dass diese Union kein Projekt ist, sondern ein lebendiges Wesen. Und sie erinnern alle Europäer daran, dass diese Union erkämpft werden muss – und dass es sich lohnt.