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„Ich bin ein Populist!“

 

Es ist ein grauer Tag in Rotterdam. Die Reihenhäuser im Viertel Oosterflank wirken in ihrer Gleichförmigkeit abschreckend und trostlos. Lauter Trutzburgen im Miniformat. Hier wohnt Ronald Sørensen, pensionierter Lehrer, Lokalpolitiker und überzeugter Anhänger von Geert Wilders, Chef der Partij voor de Vrijheid (PVV), die bei den kommenden Parlamentswahlen am 15. März eine Mehrheit erringen könnte. Sørensen ist ein massiger, großer Mann, der schwungvoll die Tür öffnet und lachend sagt: „O je, ich hab Sie ja ganz vergessen!“ Dann geht er voran ins Wohnzimmer. Ein großes Fenster öffnet sich zum Garten hin.

“Ich bin Populist!“

Diesen Satz wirft Sørensen hin, während er sich auf einen Sessel setzt. Es kling wie eine Herausforderung. Eine kleine Provokation zu Beginn. Es ist das Spiel der Populisten. Sie sagen scheinbar ungebührliche Dinge, die zu einer Gegenreaktion führen sollen, die ihnen dann wieder erlauben, sich als Verfolgte oder Unverstandene darzustellen. Wilders ist darin ein Meister. Er will den Koran verbieten, alle Moscheen in den Niederlanden schließen, bezeichnet den Islam als politische Ideologie und vergleicht ihn mit dem Kommunismus. Das hat ihm zahllose Todesdrohungen eingebracht. Wilders wird Tag und Nacht von der Polizei bewacht. Eine der öffentlichsten Figuren der Niederlande führt das Leben eines Gefangenen.

„Er ist“, sagt einer, der ihn seit Langem beobachtet, „Täter und Opfer zugleich.“ Die Radikalisierung, die er systematisch betrieben habe, sei auf ihn zurückgefallen. Wilders selbst pflegt den Opferstatus, das Image desjenigen, der sich trotz aller Drohungen den Mund nicht verbieten lässt. „Schrecklich, so ein Leben“, sagt Sørensen, „schrecklich einsam ist das!“ Sørensen kennt Wilders gut, soweit man diesen Mann kennen kann. Denn Wilders ist legendär für sein Misstrauen, auch gegenüber seinen Anhängern. Der Mann, der flammende Reden an das Volk richtet, ist eine unnahbare Person.
2011 rief Wilders Sørensen an, ob er denn nicht bei den Wahlen zum Senat für die PVV kandidieren wolle. Sørensen saß damals für die von ihm mitbegründete Partei Leefbaar Rotterdam im Stadtrat Rotterdams. Der niederländische Senat ist die eher machtlose erste Kammer der Niederlande. Gestaltungsmöglichkeiten gibt es kaum. Doch Sørensen willigte ein, gewann einen Sitz und blieb bis 2015. Dann kandidierte er nicht mehr. Denn er hatte sein selbst gestecktes Ziel nicht erreicht. „Ich wollte Wilders dazu bringen, dass er Strukturen für eine Partei aufbaut. Damit da etwas Stabiles entsteht, damit etwas Zukunftsträchtiges aus der PVV wird. Eine richtige Partei.“ Vergeblich.

Wilders will das nicht. Auf keinen Fall. So seltsam das klingen mag, die PVV ist bis heute ein eingetragener Verein mit einem einzigen Mitglied: Wilders. Er traut niemandem, nur sich selbst. Die PVV ist eine One-Man-Show.

„Werden Sie trotzdem PVV wählen, Herr Sørensen?“ „Aber klar doch, auf jeden Fall!“ Die Antwort kommt ohne jedes Zögern. Auch wenn er sich bei Wilders mit seinen Ideen nicht durchsetzen konnte, er bleibt sein treuer Anhänger. Sørensen ist tief davon überzeugt, dass die Niederlande gerettet werden müssen vor der Europäische Union und vor dem Islam, den er als politische Ideologie bezeichnet. „Wir müssen die Grenzen schließen!“, sagt Sørensen. „Und was ist mir der Europäischen Union?“ „Jedes Land kann bilaterale Verträge mit anderen Ländern abschließen!“ Das klingt vertraut, das klingt nach den Brexiteers. Doch während sich ein britischer Nationalist ohne große Mühe identifizieren lässt, wird das bei einem Niederländer schon schwieriger.

Wie kann der Nationalismus eines Landes aussehen, das sich bisher vor allem durch seine Offenheit auszeichnet, sei es als traditionelle Handelsnation, sei es als Hort politischer Liberalität? Ein niederländischer Nationalist, ist das nicht ein Widerspruch in sich? Was bloß könnte das ein? Vielleicht muss man sich der Frage einfach von einer anderen Seite nähern, von den Schulen und Straßen Rotterdams. Sørensen bezieht sich immer wieder darauf, wenn er seine eigenen doch recht radikalen Ansichten begründet. Er sagt, dass er die Schulen mit den „vielen jungen Marokkanern“ bestens kenne und all die Probleme, die sie verursachten. „Rotterdam ist eine Hafenstadt. Viele Menschen haben sich hier integriert. Aber die Muslime wollen sich nicht integrieren.“

Nun, so ganz stimmt das freilich nicht. Der Bürgermeister von Rotterdam ist ein Muslim, der in Marokko geborene und im Alter von 15 Jahren in die Niederlande gezogene Ahmed Aboutaleb. Als Stadtrat kennt Sørensen ihn natürlich. Anfangs sei das Verhältnis nicht gut gewesen, da habe man sich öffentlich beharkt. Dann habe Aboutaleb ihn angerufen, die beiden trafen sich zum Gespräch.“Aboutaleb ist ein guter Mann!“, sagt Sørensen heute. Dieses Urteil von einem PVV-Anhänger über den marokkanischen Bürgermeister verwundert nicht.

Nach den Attentaten auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo sagt ein sichtlich wütender Aboutaleb an die Islamisten gerichtet: „Wenn ihr die Freiheit nicht wollt, packt um Himmels willen eure Koffer und geht. Verschwindet, wenn ihr in den Niederlanden mit der Art, wie wir in unserer Gesellschaft leben wollen, euren Platz nicht finden könnt.“ Das gefiel damals vielen Niederländern, denn da war einer, der Klartext redete, und man konnte dem eingewanderten Muslim Aboutaleb nicht vorwerfen, islamophob zu sein. Wenn Sørensen dieses Wort hört, reagiert er mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er bläst seine Backen auf: „Ich bin kein Rassist. Ich habe nichts gegen Minderheiten!“

Der Vorwurf „islamophob“ zu sein, das sei nichts anderes als der Versuch, einen mundtot zu machen.
Sørensen ist über einen Mann in die Politik gekommen, der noch zu Lebzeiten Hunderttausende Niederländer begeisterte: Pym Fortuyn. Ein schwuler, exzentrischer Solitär, ausgestattet mit beträchtlicher Chuzpe. Als er auf seine Agitation gegen Marokkaner angesprochen wurde, antwortete er: „Ich habe nichts gegen marokkanischer Männer, ich schlafe sogar mit ihnen!“ 2002 wurde Fortuyn auf offener Straße erschossen. Der Attentäter war ein holländischer Tierschützer.

Wie Fortuyn so behauptet auch Sørensen sich gegen die von ihm vermutete Islamisierung der Niederlande wehren zu wollen. Wie aber kann ein Muslim Sørensen bewiesen, dass er das Land nicht islamisieren will? Wenn Sørensen doch meint, der Islam sei eine militante, politische Ideologie, die gar nicht anders könne, als Anders- oder Nichtgläubige zu islamisieren? „Wie Fortuyn verlange ich drei Dinge: Lernt die Sprache! Findet eine Arbeit! Gehorcht unseren Gesetzen!“

„Mehr nicht?“

„Mehr nicht!“