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Er kann nicht genug kriegen

 

55 Prozent für Aleksandar Vučić – das Wahlergebnis der serbischen Präsidentenwahlen wurde in den Brüsseler EU-Institutionen mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Vučić genießt dort den Ruf, ein Proeuropäer zu sein. Als Premierminister hat er in den vergangenen Jahren tatsächlich einige harte Reformen durchgesetzt, um Serbien auf eine Mitgliedschaft in der EU vorzubereiten. Nun, da er zum Präsidenten des Landes gewählt worden ist, kann er mit seiner Machtfülle Serbien weiter Richtung EU treiben. Das ist die Hoffnung in Brüssel.

Natürlich kennt man auch in der Union die mehr als problematische Geschichte von Aleksandar Vučić. In den neunziger Jahren war er ein extremer serbischer Nationalist. Der junge Abgeordnete Vučić sagte etwa am 20. Juli 1995 im Parlament in Belgrad, dass man „für jeden getöteten Serben 100 Muslime töten“ werde. Wenige Tage zuvor hatten serbische Milizen die ostbosnische Stadt Srebrenica erobert. Mehr als 8.000 Bosniaken wurde damals massakriert.

Vučić hat Aussagen wie diese längst bereut. Er hat Selbstkritik geübt. Als Premierminister bemühte er sich um Aussöhnung mit Bosnien-Herzegowina. Wie glaubwürdig und tiefgreifend Vučićs Läuterung ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die EU hängt jedenfalls der Vorstellung an, dass es meist Falken seien, die einen dauerhaften Frieden schließen können. Der Kriegshetzer Vučić als Friedenstaube. Das ist das Kalkül.

Alle Herausforderer von rechts zerschmettert

Selbst wenn es aufgehen sollte, gibt es ein Problem: Vučić Verhältnis zur Macht. Er kann davon nicht genug kriegen. Es reichte ihm nicht Premierminister zu sein, er wollte auch das Präsidentenamt. Aus Sicht der EU lassen sich dafür gute politisch-strategische Gründe finden. Immerhin, Vučić hat durch seinen Wahlsieg alle Herausforderer von rechts zerschmettert und damit das antieuropäische Lager in Serbien geschwächt.

Trotzdem. Es ist gut möglich, dass die EU mit Vučić auf den falschen Mann setzt. In diesen Tagen gehen Tausende Serben in mehreren Städten auf die Straße, um gegen den „Diktator“ Vučić, wie sie ihn nennen, zu demonstrieren. Sie werfen den Behörden Wahlfälschung vor.

Die Demonstranten sind meist jung, sie organisieren sich über soziale Netzwerke, sie haben keine klare Hierarchie und bekennen sich zu keiner der traditionellen Parteien. So amorph die Bewegung auch sein mag, so schnell sie auch wieder verschwinden kann – es handelt sich um eine Reaktion von zumindest Teilen einer Gesellschaft, die auf Machtanhäufung eines Politikers allergisch reagiert.

An sich ist das eine gute Sache – aber die EU kann sie nicht gut finden, weil sie auf Vučić fixiert ist. Das kann für die EU noch böse Folgen haben. Jetzt schon wird die Union in Serbien häufig als kaltschnäuziger Akteur wahrgenommen, der in erster Linie stabile Verhältnisse haben will. Wer diese aber herstellt, das ist zweitrangig.

Es wäre überzogen, der EU die Schuld an den sich abzeichnenden autoritären Entwicklungen in Serbien zuzuschreiben. Die Transformationskraft der EU reicht nicht so weit, dass sie sich vor Ort Politiker nach eigenem Gusto backen könnte. Doch ein gerütteltes Maß an Verantwortung trägt die Union allemal.