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Die libysche Gefahr

 

Barack Obama schickt zwei Zerstörer der US-Navy vor die libysche Küste. 50 Marinesoldaten sind bereits in Bengasi. Welchen Auftrag Schiffe wie Soldaten erfüllen sollen, ist nicht klar. Obama will jedenfalls Stärke demonstrieren, nachdem der amerikanische Botschafter in Bengasi bei einem Anschlag ums Leben gekommen ist. Nach Auffassung der US–Behörden steht Al-Kaida hinter dem Attentat.

Die Attentäter können sich jedenfalls über Obamas Reaktion freuen. Sie wollen die Eskalation. Den übermächtigen Gegner an empfindlichen Stellen treffen und ihn dann zum unverhältnismäßigen Gegenschlag zu provozieren. Das war das strategische Kalkül hinter den Anschlägen von 9/11. „Wir müssen nur irgendwo die Flagge Al-Kaidas hissen und die Amerikaner werden ihre Soldaten schicken“ — das sind die Worte Osama bin Ladens. In Afghanistan ging Osama bin Ladens Kalkül auf. Er lockte die Weltmacht in den afghanischen Treibsand, aus dem sie sich erst Jahre später mit Mühe und Not zu befreien sucht.

Libyen ist nicht Afghanistan, gewiss. Nach dem Sturz des Autokraten Muammar al-Gaddafi hat Libyen erfolgreiche Parlamentswahlen abgehalten. Das ist eine sehr gute Nachricht. Das Land besitzt große natürliche Ressourcen. Es hat eine entwickelte Ölindustrie. Das alles sind sehr wesentliche Unterschiede zu Afghanistan.

Aber es gibt Parallelen zu Afghanistan. Die libysche Regierung hat Mühe, sich durchzusetzen. Die Institutionen des Staates sind noch schwach. Es wimmelt von Waffen und Kriegern. Das sind potenziell gute Bedingungen für Al-Kaida. Diese Organisation sucht ein solches Umfeld.

Al-Kaida ist nicht stark genug, um sich im libyschen Staat an zentralen Stellen einzunisten. Das gelang Al-Kaida in Afghanistan. Aber wenn sie es schafft, dass jemand von außen mit dem Hammer auf diesen Staat einschlägt, dann ist die Lage ganz neu zu bewerten. Obama muss sich zurückhalten. Er muss mit den libyschen Behörden zusammenarbeiten, so schwach sie auch sein mögen.

Obama wird Libyen nicht mit Raketen beschießen. Die Gefahr ist eine andere. Was zum Beispiel würde geschehen, wenn die 50 Marinesoldaten an Land in einen Kampf verwickelt werden? Was, wenn ein paar von ihnen dabei ums Leben kommen?

Ein solches Szenario hat es schon einmal gegeben. 1992 in Somalia. Damals haben US-Marines Jagd auf den somalischen Warlord Mohammed Aidee gemacht, mitten in Mogadischu. 18 Marines sind dabei getötet worden. Einige Leichen dieser Soldaten sind unter den Augen der Welt und dem Johlen der Menge durch die Straßen von Mogadischu geschleift worden. Der damalige US-Präsident Bill Clinton beendete umgehend die Intervention in Somalia, die man unter der UN-Flagge begonnen hatte, um dem vom Bürgerkrieg und Hunger geplagten Land zu helfen.

Den überstürzten Rückzug aus Somalia hat ein Mann aufmerksam registriert: Osama bin Laden. Somalia hat er seinen Anhängern immer wieder als Beispiel vorgestellt. Die Weltmacht rennt davon, wenn man sie trifft; oder sie schlägt mit einem übergroßen Hammer zu.

Osama bin Laden mag zwar tot sein – aber sein Erbe ist gefährlich lebendig.