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Das Gift des Diktators

 

Der syrische Diktator Baschar al-Assad kämpft gnadenlos um seine Macht— aber wird er auch mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln kämpfen? Amerikanische Geheimdienste wollen erfahren haben, dass die syrische Armee Chemiewaffen für einen möglichen Einsatz vorbereitet. Allerdings hätten sie nicht das gesamte Arsenal »scharf« gemacht, sondern nur einen »sehr geringen« Teil davon. Aber, so ließen Geheimdienstmitarbeiter über die Presse streuen: »Wir wissen nicht, welche Absicht dahintersteckt.«

Obwohl die Aussagen recht nebulös und Geheimdienstinformationen notorisch unzuverlässig sind, trat US–Präsident Barack Obama vor die Presse und warnte Assad: »Wenn Sie den tragischen Fehler begehen, diese Waffen einzusetzen, wird dies Konsequenzen haben, und sie werden dafür zur Verantwortung gezogen.« Eine ähnliche Warnung hatte Obama im August ausgesprochen. Der Einsatz von Chemiewaffen sei die »rote Linie«. Das syrische Regime hatte den Rückgriff auf Chemiewaffen ausgeschlossen, mit einer Ausnahme: Wenn »ausländische« Kräfte sich militärisch in Syrieneinmischten, sei dieses Mittel nicht ausgeschlossen.

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TV-Reporter mit Gasmasken

Chemiewaffen und Diktatoren – das ist eine schaurige Geschichte, voll realer und imaginierter Gefahren. Wenn in der letzten Zeit ein nahöstlicher Diktator stürzte, kam meist diese Massenvernichtungswaffe als ultimatives Schreckbild ins Spiel. Als der Libyer Muammar al-Gaddafi sich im Sommer 2011 in der Hauptstadt Tripolis gerade noch halten konnte, fragte man sich bang: Wird er Chemiewaffen einsetzen? Als die US-Armee in Frühjahr 2003 auf Bagdad zumarschierte, sah man TV-Reporter mit am Gürtel pendelnden Gasmasken. Diese Bilder hinterließen beim Publikum einen bleibenden Eindruck.

Weder Gaddafi noch Saddam Hussein haben kurz vor ihrem Fall diese fürchterlichen Waffen eingesetzt. Wir wissen nicht, ob sie es nicht taten, weil sie dazu nicht mehr in der Lage waren oder weil sie es nicht wollten. Wir wissen aber, dass beide Chemiewaffen besaßen. Saddam Hussein hatte sie tatsächlich eingesetzt. Während des Krieges mit dem Iran (1980 bis 1988) ließ er iranische Truppen mit Chemiewaffen beschießen. Im Jahr 1988 richtete er unter irakischen Kurden ein Massaker an. In der kurdischen Stadt Halabdscha starben mehr als 5.000 kurdische Zivilisten einen qualvollen Tod, weil Saddam Hussein Behälter mit den Nervengiften Tabun und Sarin über der Stadt abwerfen ließ.

Ein Patt, den keiner anerkennen will

Chemiewaffen und Diktatoren – das ist eine gefährliche Kombination; gleichzeitig bieten die Massenvernichtungswaffen auch die Möglichkeit, einen Herrscher endgültig zu delegitimieren. Einer, der um den Preis des Machterhalts in Kauf nimmt, Tausende zu vergiften, stellt sich außerhalb der Zivilisation. Der kann kein Partner mehr sein, für nichts und niemanden. Das ist die politische Bedeutung der Debatte um einen möglichen Einsatz von Chemiewaffen. Trotzdem bleibt die Frage: Ist Assad so eine Tat zuzutrauen?

Eine Antwort darauf wird weniger in der Person zu finden sein als im militärischen und politischen Kontext, in dem sich der Diktator bewegt.

Die besondere Tragik des seit eineinhalb Jahren andauernden syrischen Bürgerkrieges besteht darin, dass zwar bisher keine der beiden Seiten in der Lage war, die andere militärisch zu besiegen, dass aber gleichzeitig beide glauben, dass dies möglich sei. Es besteht de facto ein Patt, das keiner anerkennen will. Das gilt nicht nur für die in Syrien Kämpfenden, es gilt auch für die ausländischen Mächte, die mitmischen. Die TürkeiSaudi-Arabien und Katar unterstützen die Aufständischen in dem Glauben, dass mittels Gewalt ihre Interessen gewahrt werden können; der Iran unterstützt Assad, weil der Sturz des Diktators iranische strategische Interessen beschädigen würde. Aus all diesen Gründen gibt es keinen politischen Spielraum für eine Lösung.

Das Bild, das sich auf dem Schlachtfeld bietet, ist das einer zunehmenden »Beirutisierung« Syriens. So wie der libanesische Bürgerkrieg (1975 bis 1990) Beirut über viele Jahre in eine mehrfach geteilte Stadt verwandelte, so zerbröselt auch Syrien zusehends unter den Schlägen und Gegenschlägen der Kriegsparteien. Die Rebellen kontrollieren Teile des Grenzgebietes zur Türkei und zum Libanon, das Regime behält in den größeren Städten mehr oder weniger die Oberhand. Spätestens seit die Aufständischen im Sommer 2012 – damals überraschend – Offensiven in Aleppo und Damaskus begannen, wechselte die syrische Armee ihre Taktik. Sie verzichtete darauf, die von Rebellen gehaltenen Stadtteile zurückzuerobern, und setzte auf ihre Waffenüberlegenheit. Kampfbomber, Artillerie und Raketen richten seither schlimme Verheerungen an. Die Armee schlägt ohne Rücksicht zu. Wo immer sich eine Menschenansammlung im Rebellengebiet bildet, läuft sie Gefahr, bombardiert zu werden. Assad ist nicht mehr der unumschränkte Herrscher Syriens, aber in der Luft ist seine Macht ungebrochen. Solange das so bleibt, wird sich die Pattsituation nicht auflösen.

Syrien ist nicht Afghanistan

Die Rebellen versuchen daher aus guten Gründen, die Lufthoheit Assads zu brechen. Sie greifen den Flughafen von Damaskus an, auch andere Flughäfen, von denen nicht nur Kampfjets aufsteigen, sondern wohin auch die Verbündeten Assads Nachschub schicken. Vor wenigen Tagen haben die Rebellen zum ersten Mal einen Kampfjet abgeschossen. Dabei haben sie angeblich von der Armee erbeutete Luftabwehrraketen russischer Bauart eingesetzt; möglich ist aber auch, dass die Waffen aus dem Ausland geliefert worden sind. Luftabwehrraketen haben in jüngerer Zeit schon einmal einen Krieg entschieden: in Afghanistan. Die sowjetischen Besatzer des Landes (1979 bis1989) hatten durch ihre Luftüberlegenheit die Mudschahedin an den Rand einer Niederlage gebracht. Doch dann bekamen die Rebellen die hypermoderne, leicht zu bedienende Abwehrrakete Stinger von der CIA geliefert. Die Sowjets verloren die Herrschaft über die Lüfte und bald darauf den Krieg.

Syrien ist nicht Afghanistan, doch der Rückgriff auf die afghanische Erfahrung öffnet den Blick für einen möglichen weiteren Verlauf des syrischen Bürgerkrieges. Die Aufständischen schießen Flugzeuge ab – damit zerbricht Assads stärkste Waffe. Was bleibt ihm also? Könnte Assad dann zum letzten Mittel greifen? Die Antwort muss offen bleiben. Die nicht zu überprüfende Geheimdienstnachricht, wonach Assads Armee begonnen habe, Chemiewaffen abzumischen, passt zu den ersten Nachrichten von abgeschossenen Kampfbombern. Was Kampfbomber nicht mehr schaffen, das könnte sich das Regime von chemischen Kampfstoffen erhoffen: die Aufständischen einzudämmen. Den Preis dafür hat Obama benannt. Das Pentagon hat bereits Berechnungen angestellt: 75.000 US-Soldaten bräuchte es für eine Intervention.