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„Alle lügen einander an. Um einander nicht zu verletzen“

 

Eine Begegnung mit der bosnischen Schriftstellerin Tanja Stupar-Trifunović.

Vor knapp 2o Jahren ging der Krieg in Bosnien-Herzegowina zu Ende, seither versucht dieses kleine Land auf die Beine zu kommen, gelingen will das nicht so recht. 60.000 Menschen sollen allein im letzten Jahr aus Bosnien-Herzegowina emigriert sein, bei einer Bevölkerung von knapp 4 Millionen Menschen ist das ein lebensbedrohlicher Aderlass. Wer trägt Verantwortung für diese Misere? Bosnischer Durchschnittsbürger würden wohl übereinstimmend sagen: „Die Politik ist schuld!“

Politik ist in Bosnien-Herzegowina zu einem Symbol für alles geworden, was die Menschen korrumpiert und sie zum Schlechten verführt, eine schmutzige Angelegenheit mit der ein anständiger Menschen nichts zu tun haben möchte.

Wie bewegt sich ein bosnischer Schriftsteller in einer auf diese Weise „verseuchten“ Umgebung? Was bedeutet das für sein Schreiben?

„Der Mensch muss überall lernen zu leben“, sagt trocken die bosnische Schriftstellerin Tanja Stupar-Trifunović. Also muss er auch in Banja Luka lernen, dort nämlich lebt die 1977 geborene Stupar-Trifunović mit ihrer Familie. Banja Luka ist die Hauptstadt der Republika Srpska (RS) und steht nicht gerade im Ruf eine Hochburg der Kultur zu sein. Die RS ist eine sogenannte Entität der Republik Bosnien-Herzegowina. Geschaffen wurde dieses Gebilde durch den Vertrag von Dayton, der den Krieg 1995 beendete. Rund 900.000 Einwohner hat die RS. Sie wird  von einem Mann namens Milorad Dodik regiert, einem Autokraten.

Stupar-Trifunović ist nicht freiwillig  nach Banja Luka  gekommen, sondern als Flüchtling. Geboren ist sie am Meer, in der Hafenstadt Zadar, an der dalmatischen Küste. Die Stadt ist von Sommer 1991 bis Januar 1993 von serbischen Milizen belagert worden. Wie das gesamte untergegangene Jugoslawien ist auch Zadar zu einem Opfer einer nationalistischen Politik geworden. Das muss man sich vergegenwärtigen, um das Verhältnis der jüngeren bosnischen Literaten zur Politik zu verstehen – sie ist kein Ort an dem Bürger öffentlichen Angelegenheiten verhandeln könnten, sondern ein Kampfplatz auf dem geplündert, gebrandschatzt, vergewaltigt und gemordet wurde.

Stupar-Trifunović sagt von sich, dass sie sich abgekoppelt habe von der politischen Welt da draußen. Sie braucht sie nicht für ihre Arbeit, denn die Quellen ihrer Inspiration findet sie in ihrem Inneren, in ihrem Privaten, in der Geschichte der Frauen ihre Familie zum Beispiel, denen sie in ihrem neuesten Werk nachgeht.

Die »Uhren in Mutters Zimmer« heißt ihr erster Roman, der noch nicht auf deutsch erschienen ist. Es ist eine Reise in die Vergangenheit: „Vielleicht sollte man in der Kindheit beginnen. In der Kindheit treffen die Eindrücke einen Menschen tief, wie die Fußsohle im noch nicht gehärteten Beton. Schon jetzt bleiben nur Schlammspuren übrig, die leicht verwischen. Ich bin ein vor langer Zeit bepflasterter Platz, ein fertiger Spazierweg am Ufer, ein hingegossenes Trottoir neben der Straße, und alles in mir hat sich gefestigt“.

Man erkennt in dem Roman die preisgekrönte  Lyrikern, die es gewohnt ist, sich der Sprache anzuvertrauen wie einem Vehikel, das sie weit tragen wird, irgendwohin, wo sie es selbst nicht erwartet hat. „Ich habe keinen Plan gehabt, auch keine klare Idee, ich habe es einfach geschrieben“, sagt Stupar-Trifunović, die hinzufügt, dass sie gar nicht wusste, dass sie einen Roman schreiben könne. Sie tat es, sagt sie im Scherz, weil  der befreundete Schriftsteller Faruk Sehić ihr dazu geraten hat: „Tanja, Du musst einen Roman schreiben, wenn du richtig Erfolg haben willst!“  Und so kam es auch. Für »Uhren in Mutters Zimmer« war auf der Shortlist für den NIN Preis, der für den besten Roman in serbischer Sprache verliehen wird.

Tatsächlich gewinnt man bei der Lektüre den Eindruck, dass sich der Roman gleichermassen aus den Worten heraus erst entwickelt hat, wo er viele Jahre lang eingekapselt war. „Etwas ist gewachsen. Etwas wird einmal aus mir heraus schwimmen“, heißt es an einer Stelle. In Schüben unterschiedlicher Intensität schält sich die Erinnerung an eine Welt heraus, in der es eine klare Unterscheidung zwischen Außen und Innen gibt, eine Grenze, die das Kind verletzt und wofür es bestraft wird. „Ich offenbarte unbesonnen dem Nachbarn die häuslichen Geheimnisse. Das worüber ich mit niemanden sprechen durfte. Innen. In den vier Wänden. Etwas von uns. Ich habe es verraten. Ich war aufrichtig.“

Das Kind wird auf eine Ordnung verpflichtet, die die Wahrheit nicht verträgt.

Das Innen vom dem uns Stupar-Trifunović berichtet bietet keinen Trost, denn es herrscht ein niederschmetterndes, ungeschriebenes Gesetz.  „Alle lügen einander an. Um einander nicht zu verletzen“

Und übrig bleiben die Kinder, die den „Eltern nichts erzählen, denn die Eltern glauben den Medusen mehr.“

Da auf allen diesen Ebenen die Unwahrheit herrscht, arbeitet sich der Text immer weiter in die Tiefe vor bis er einen stabilen Grund findet auf dem ein Mensch endlich sicher stehen kann. Dieses Fundament ist „etwas Zartes … worin wir alle einander berührten“.

Es wäre viel gewonnen, wenn die Bosnier, egal in welchen Landesteilen sie leben, das beherzigen könnten. Sie sind miteinander verbunden und werden es bleiben. Dem Roman »Uhren in Mutters Zimmer« von Tanja Stupar-Trifunović kann man eine Botschaft entnehmen: Der Krieg hat den Balkan nicht zerreissen können.